Von Enden mit Schrecken und Schrecken ohne Enden

Es ist schon ziemlich lange her, dass ich über die Piraten schrieb. Als ich zur Vorbereitung hier suchte, fand ich ironischerweise einen Text, in dem ich hoffte, dass die Piraten eine Familien-, Gleichstellungs- und Bildungspartei werden sollten. Heute schreibe ich darüber, dass wohl genau dies nicht passieren wird.

Als Außenstehende ist es immer etwas schwieriger nachzuvollziehen, was in Parteien im Laufe der Jahre so passiert. Andererseits hat man gleichzeitig das Glück, unbedarfter und emotionsloser drauf gucken zu können. So lasst mich also kurz einen Rückblick wagen: für mich waren die Piraten immer eine kleine, etwas chaotische, von unsichtbaren Hierarchien dominierte Partei, die sich mit Freiheit, Internet und Gesellschaft auseinandersetzte. So vielfältig die Mitglieder, so vielfältig die Themen. Der Ansatz, ohne typische Parteistrukturen zu operieren, ist sicher löblich; und flache Hierarchien haben durchaus ihren Charme. Leider ist die Organisation der Piraten verbuggt, von den Parteitagen bis hin zu fehlenden Kontrollmechanismen auf jeglicher Ebene. Der anfängliche Erfolg hat sie überrannt, Opportunist_innen suchten ihre Chance gleichermaßen wie Populist_innen. Hoffnungen wurden in die Piraten gesetzt, so große, dass sie nur enttäuscht werden konnten. Das ist nur teilweise Schuld der Piratenpartei, aber in den Teilen, an denen sie Schuld trägt - das (fehlende) Management der Gates, das Versäumnis eines frühen Wertbilds das über die Projektionsfläche „Freiheit“ hinaus geht, die Wahlen von Selbstdarsteller_innen als Aushängeschilder der Partei, die zwiegespaltene Haltung zwischen verspielter Anti-Partei und ernsten Reformvorhaben - muss sie die Verantwortung übernehmen.

Politik ist harte Arbeit, sie ist anstrengend, oft undankbar, und das Image ist schlecht - auch als neue, junge Partei, die mit mehr Lockerheit an Themen herangehen möchte, als, sagen wir, die CDU. Doch die Wähler_innen möchten nicht nur Show und Gaudi, dafür haben sie DSDS und das Supertalent und am Wochenende Fußball und die BAMS - nein, die Politik soll gewissenhaft arbeiten und sich nicht mit sich selbst beschäftigen. Ein schwieriger Balanceakt, den die Piratenpartei zu Beginn noch gut stemmen konnte, unter dem sie aber angesichts sich häufender Gates kollabierte. Was sie prompt auch in den Wahlen zu spüren bekamen. Während sich in anderen Parteien ein Habitus etabliert hat, der sich darauf stützt, dass einmal gewählte Vertreter_innen tatkräftig unterstützt werden, starteten die Piraten mit einer Parteikultur, in der alle gleich sein sollten - und deswegen auch gewählte Vertreter_innen nicht mehr zu sagen hätten als die gesichtslose Basis. So weit so gut, und wenn es um innerparteiliche Auseinandersetzungen, Kursrichtungen und inhaltliche Schwerpunkte geht - also alles, was Parteiintern geschieht - so ist das ein löbliches Vorhaben und zumindest dahingehend erfolgsversprechend, dass es genau den Fehler zu lösen versucht, an dem ältere Parteien Probleme haben, neue jüngere Mitglieder an sich zu binden. Das Versäumnis war jedoch, diesen Ansatz nicht direkt strukturell zu verankern, und so wurde das Thema „alle können mitbestimmen“ ohne Strukturen schnell zu einem „jede_r posaunt seine Meinung lautstark nach draußen und drinnen“. Gepaart mit einem oft aus vorherigen Parteien mitgebrachtem grundsätzlichen Misstrauen in Führungspersonen, rannte die Partei wie ein kopfloses Huhn umher. Jeder Versuch, die Partei zu führen, wurde unterbunden.

Und da sind wir in der Partei mittlerweile immer noch, mehr oder weniger, denn das interne - und externe - Gezerre ist anstrengend und kostet Zeit und Nerven, so viel, dass nicht mehr viel Zeit und Nerven für Politik oder Kampagnen übrig blieb. Zu recht wunderten sich viele, wie still die Partei zu den Entwicklungen des letzten Jahres - sei es die NSA oder die VDS - geblieben war. Auf diejenigen, die sich noch positionieren konnten und vor allem wollten, wurde mit Neid geblickt - und mit viel Misstrauen. Das gleichzeitige stetige Wiederholen des Mantras Freiheit, von einigen auch missverstanden, führte dazu dass jeder Versuch die Partei zu disziplinieren in Unterdrückungs- und Zensurvorwürfen endete. Und so bleibt ein kleine Gruppe engagierter Menschen, die auf verschiedenen Politebenen arbeiten, und eine große Hyper-Masse, die Verschwörungstheorien, Machtkämpfe und Oppressionen bei jeder Kreisversammlung wittert. Während in anderen Parteien jede_r irgendwie persönlich bekannt und vertraut sein wird - und muss, will sie oder er gewählt werden - so lassen die fehlenden Strukturen der Piraten eine gesichtslose Masse zu, die nach außen und innen gleichermaßen attackieren kann - und sich untereinander gegenseitig bestätigt. Wer vor Ort oder von anderen Pirat_innen nicht gehört wird, der findet seine Gruppe Gleichgesinnter im Netz. Ein theoretisch wundervoller Ansatz, in aller Ernsthaftigkeit, könnte er doch große Mankos ausgleichen - und doch führt er bei den Piraten nur zu Machtkämpfen um Deutungshoheit, und, klar, Ausrichtung und Wertebild.

Die Piraten starteten als große Projektionsfläche für die Politik, die verschiedenste Menschen gerne sehen und machen wollten, und enden nun gegebenenfalls daran, dass Programmatik und Mitglieder zu weit voneinander entfernt liegen, und keine geeigneten Strukturen da sind, die Brücken schlagen könnten. Ganz möchte ich den Abgesang jedoch noch nicht starten, denn auch das ist wahr, in der Piratenpartei fanden sich einige Talente, und die Partei täte gut daran, diese zu umwerben und in Positionen zu setzen, in denen sie ihre Möglichkeiten auch verwirklichen können. Der nächste Parteitag wird wohl zeigen, in welche Richtung es geht. Vielleicht wäre ein Auseinanderbrechen der Partei nicht das schlechteste - und ein auch struktureller Neustart genau die Chance, auf die die Partei schon so lange wartet.

So oder so - zu sagen, man könne von der Piratenpartei und ihren Fehlern nichts lernen, ist falsch. Am meisten daraus lernen kann jedoch die Piratenpartei selbst.