Die Merci-Werbung ist der Feind. Glückliche Menschen fallen sich in die Arme, endlich vereint, endlich geliebt, über das Geschenk einer Packung plastikverpackter Schokolade hinweg. Dazu diese Musik. „Merci, dass es dich gibt“ trällert sie, während der Werbespot dir eine glühende Klinge in den Körper sticht, in die Nähe des Brustbeins, genau zwischen Herz und Magen. Die Weihnachtsdepression, pünktlich zum „Fest der Liebe“, sie ist wieder da wie die entfernte Verwandtschaft am zweiten Weihnachtstag.
Nicht jede_r wird einen Bezug zu diesem Text herstellen können. Das ist okay. Für euch ist Weihnachten eine schöne Zeit, schmerzfrei, höchstens etwas stressig und gegebenenfalls nervig. Ihr seht eure Familie, oder nicht, habt eine eigene, oder nicht, und seid mit jeder Variante glücklich. Aber dieser Text ist für die Anderen. Für die, bei denen manche Weihnachtslieder Flashbacks an zerstrittene Eltern, schweigende Festessen, Einsamkeit oder Verzweiflung hochholen. Für die, die sich so sehr nach dieser Weihnachtsillusion sehnen, und sich dafür hassen, weil sie so unerreichbar scheint. Für die, denen bei einer blöden Werbung eine Träne über die Wange kullert. Für euch ist dieser Text.
Vorab: nicht für jede_n wird was dabei sein. Die Ideen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder darauf, dass sie für alle alles verbessern. Aber ich glaube, zum Jahresende haben wir uns alle ein bisschen Selfcare und Selbstschutz verdient. Und sich ein paar Minuten Zeit zu nehmen, rauszufinden, was helfen könnte, ist schon mehr, als wir uns im Alltag oft gönnen. Wo das gesagt ist: los geht’s.
Was Gut tut identifizieren
Zwei Wochen vor Weihnachten dürften wir alle mittlerweile unseren guten Teil Last Christmas, Menschenmassen in Einkaufszentren und anstrengende Werbung hinter uns haben. Geschenke besorgen oder basteln kostet Zeit und oft auch Nerven. Die Aussicht auf die Feiertage allein oder mit der Familie ist im besten Fall schwierig, im schlimmsten löst sie Herzrasen aus. Umso wichtiger, dass wir unsere Ressourcen dahingehend stärken, schöne Dinge zu finden und uns mit ihnen zu umgeben. Im Folgenden eine unvollständige Liste mit Dingen, die mir helfen, die Advents- und Weihnachtszeit zu genießen:
Lichterketten & Kerzen ftw.
Warmes Licht vermittelt Geborgenheit, sieht hübsch aus und beruhigt ungemein. Die Winterzeit ist ideal, um auch mal mit indirekten Lichtquellen zu übertreiben. Ich bin ohnehin ein Fan von Kerzen das ganze Jahr über, und umso mehr in der Winterzeit. Wer Lust hat, bastelt sich einen Adventskranz oder arrangiert sich Teelichter mit Tannenzapfen und Tannenzweigen. Kleinere Lampen geben noch zusätzliches Licht, ohne übertrieben hell zu sein. Dazu eine Kuscheldecke - kann auch die Bettdecke sein - und ab auf die Couch. Aber auch, wenn ich unterwegs bin, versuche ich die geschmückten Plätze, Laternen und Geschäfte zu genießen. Ich mag das schöne Licht, wie alles glitzert und gleich viel edler aussieht. Dazu passt: ein schönes Buch, ein Film, Heißgetränke & gutes Essen.
Wärme
Ich hab zu lange gebraucht um zu verstehen, dass wenn mir kalt ist, ich etwas dagegen tun kann. Zu viele Winter auf dem Sofa gefroren, zu viele Male mit kalten Füßen rumgelaufen, die gleich auf alles andere ausgestrahlt haben. Bei den derzeitigen Heizkosten ist nicht für jede_n Durchheizen eine valide Option, und umso mehr möchte ich die Investition von guten Pantoffeln (alternativ ein paar dicke Socken, die über die normalen gezogen werden, vielleicht ja mit Anti-Rutsch-Noppen aus der Kinderzeit) hervorheben. Pantoffeln, Decken (zur Not zwei), Mützen und Handschuhe. Letztere kann man mit etwas Talent und/oder Mühe auch selbst stricken, was übrigens auch eine schöne Auszeit für die Couch sein kann. Sich selbst warm halten gibt ein ganz eigenes Gefühl von Geborgenheit. Dazu passt: Kerzen, Heißgetränke, ein Bad nehmen.
(Selbst)Liebe geht durch den Magen
Zeit für sich nehmen muss nicht unbedingt immer mit Basteln oder Lesen zusammenhängen. Und wenn die Gedanken rennen hilft es mir auch oft, einfach etwas zu machen, wo ich Anleitungen Schritt für Schritt befolgen kann, und dabei Spaß habe: Kochen. Backen. Sich selbst einen heißen Kakao machen, billige Schlagsahne aus der Sprühdose kaufen und drauf packen. Kakaopulver drauf rieseln. Eine große Tasse Tee aufgießen. Kandiszucker dazu tun. Kinderpunsch aufwärmen. Brot backen. Suppen kochen. Reste einfrieren, wenn man alleine ist.
Manchmal hat man keine Kraft, großartig zu backen oder zu kochen. Oder kein Geld. Oder keine Zeit. Aber auch dann kann man sich was gutes tun: Kerzen auf den Tisch. Den Tisch leer räumen, damit es schöner aussieht. Oder auf der Couch unter der Decke essen und dabei lesen, Serien oder Filme gucken. Musik hören. Schöne Servietten kaufen. Dazu passt: Freundinnen einladen, zusammen kochen oder backen, Glühwein trinken gehen, Wärme, neues Ausprobieren.
Menschen
Auch wenn die Adventszeit die Zeit ist, bei der ich am schnellsten soziophob werde: Menschen tuen gut. Lieblingsmenschen natürlich, keine schlecht gelaunten Stresser aus dem Kaufhaus. Gemeinsam lassen sich viele Dinge einfacher ertragen, sogar die Feiertage. Gerade, wenn man die Familie nicht sehen möchte, tut es gut, Freund_innen zu besuchen. Und wenn es an den Feiertagen nur zum Frühstück ist: die Tageszeit, die meist noch nicht komplett durch die Familie verplant ist. Bei all den wunschlos glücklichen Ideal-Familienbildern, die auf uns in der Weihnachtszeit überall einprasseln, reißen alte Wunden umso schneller auf. Sich mit den Lieblingsmenschen unter der Woche zum Zocken verabreden oder gemeinsam Godzilla gucken kann da den nötigen Abstand vermitteln. Und auch alleine zu backen fühlt sich weniger sinnlos an, wenn man Plätzchen verschenken kann. Vielleicht könnt ihr sogar Weihnachten zusammen feiern oder eine Weihnachtsfeier machen, ohne blöde Kolleg_innen oder Familie. Dazu passt: Spaziergänge, Filme, Serien, Alles andere.
Flucht nach Vorne
Es ist kalt, ätzend, meh? Im Fernsehn gibt’s nur Trigger und niemand hat Zeit? Ab nach draußen. Lieblingsmusik auf die Ohren, oder ein Hörbuch. Dick einpacken, notfalls mehrere Pullover übereinander, und raus. Wenn es schneit: raus und alles aufsaugen. Wie ein Schutzfilm aus pulveriger Watte. Wenn es nicht schneit: raus. Eichhörnchen beobachten. Lichterketten beim Glitzern zusehen. Die kleinen Dinge genießen. Headset rein und Lieblingsmenschen anrufen, dabei durch die Stadt laufen. Vielleicht zu einem Café schlendern, sich ein Stück Kuchen gönnen. Oder einen riesigen Milchkaffee. Oder beides. Rumschlendern und Fotos machen. Weihnachtsmärkte von Montag bis Donnerstag genießen, wenn sich nicht alle dort drängen. Dazu passt: Wärme, Neues Ausprobieren, Besorgungen mit schönem verbinden.
Traditionen selbst schaffen
Weihnacht lebt von Traditionen. Bräuchen. Gebräuchen. Umso schlimmer, wenn man sich mit nichts davon identifizieren kann. Deswegen: warum nicht selbst etwas erschaffen? Ein jährliches Weihnachtskaraoke mit Lieblingsmenschen? Sich am Nikolaustag selbst etwas gönnen? Weihnachtskarten verschicken? Zur Adventszeit ein neues Buch lesen? Bücher unter Freund_innen verwichteln, statt Schrott? An Weihnachten alle Herr der Ringe Filme hintereinander gucken und so alles ausblenden? Jedes Jahr an einem Tag groß kochen? Einen Baumkuchen backen und die letzte Woche vor Weihnachten nur noch von Baumkuchen leben? Dazu passt: Menschen, Kochen, Backen, Basteln, Schenken, Anti-Weihnachten.
Anti-Weihnachten
Gar kein Bock auf Weihnachten? Also, so Null? Vermeidungsstrategien funktionieren auch: den unweihnachlichsten Bildschirmhintergrund einstellen. Nicht mal den Grinch. Vielleicht einen Strand. Serien gucken oder neue anfangen (z.B. Hannibal. Masters of Sex. Scandal. Sleepy Hollow.) Die Rambo-Reihe durchgucken. Science Fiction lesen. Das Fernsehprogramm nach unweihnachtlichen Angeboten durchforsten. Eine Biographie lesen, vielleicht von Menschen, die man bewundert. Chipstep oder Death Metal Musiklisten auf Spotify abonnieren. Oder selber welche erstellen und frei geben. Mit Lieblingsmenschen grinchen. Nachos überbacken statt Plätzchen zu backen. Dazu passt: auch alles andere, bis auf die Weihnachtsmärkte.
Resterampe
Es gibt noch viele andere Dinge, die helfen können. Manchmal muss man einfach ein bisschen rumprobieren, was gut tut, und was nicht. Wichtig: sich selbst gönnen. Sich selbst verzeihen. Schmerz ist menschlich, Wut ist menschlich, kein Bock auf nix haben ist menschlich.
Hier noch ein paar andere Ideen:
- Musik hören. Viel. Neue. Alte. Listen erstellen. Abonnieren.
- Ausschlafen.
- Schneeballschlachten und Schneemenschen bauen.
- Sich selbst etwas gönnen/schenken.
- die Waage in den Keller stellen.
- Stricken, Häkeln, Sticken lernen.
- Einen Quilt machen.
- Fotos aus dem Jahr angucken, in Erinnerungen schwelgen.
- Die Pinguindoku der ARD nachgucken.
- Tierdokus allgemein.
- Sinnlose Trashfilme gucken, z.B. die Mondverschwörung.
- Überlegen, was schön war, und warum es schön war. Das öfter tun.
Ich hoffe, dass zumindest ein bisschen was dabei war. Ich weiß, viele Dinge sind eigentlich No-Brainer, und wir tun sie dann doch oft nicht. Sagt mir gerne auf Twitter, ob euch was geholfen hat! Bis dahin macht euch immer bewusst: auch diese Zeit geht wieder vorbei.
Kommt gut durch die Tage! <3