An Fußball-Großereignisse hab ich ganz gute Erinnerungen. In meiner Familie hab ich ein paar schöne Erinnerungen an zusammen geguckte WMs/EMs der 90ziger.
Aber auch die WM 2006 ist mir im Gedächtnis geblieben. Nicht nur – aber auch – weil sie in Deutschland war, sondern weil wir in großem Freundes- und Arbeitskreis kollektiv ins Fansein verfielen. Es ist schwierig, unbeteiligten Leuten zu erklären was so in Unternehmen und Büros abgeht, wenn Weltmeisterschaft (oder ja, auch, Europameisterschaft) ist. Wie Monate vorher sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet, dass sich irgendein Admin erbarmt hat und die WM Termine in Lotus Notes eingepflegt hat. Wie Wochen vor der WM sorgfältig alle Termine und Telkos – gerade mit dem Ausland – um wichtige Spiele herum gelegt werden. Wie die großen und guten Videokonferenzräume Abteilungsübergreifend gebucht werden und sich dann am Spieltag selbst alle heimlich dort treffen um live das Spiel zu gucken, sollte es während der Arbeitszeiten stattfinden, und nach der Arbeit im Biergarten, falls außerhalb. Wie es im Büro Tipplisten und gestiftete Bierkästen gibt, und wie alle generell gut drauf sind. Scheint mir unmöglich, das zu erklären, momentan.
Denn dieses Jahr ist alles anders. Keine Kolleg_innen die mich mitschleifen, kein Büro im Fußballfieber, nur Twitter und die öffentlich-rechtlichen. Diese WM ist so… ermüdend, und das liegt nicht nur an Béla Réthys langweiligen Kommentaren. Generell ist es dieses Jahr so viel mehr „Weltmeisterschaft“ und viel weniger „Fußball“. Da, wo in den letzten Jahren die Freude am Zusehen war, wo die Spiele – selbst die langweiligen – zumindest im größeren Vorrundenzusammenhang interessant anzusehen waren, da ist dieses Jahr bloß WM Orakel (notiert euch besser die Farbe eures Stuhlgangs, das könnte ein Orakel sein, mit der richtigen Vermarktung), schwarz-rot-gold und ohnehin viel zu viel Schland (möge Stefan Raab für diese Wortschöpfung eine Woche Durchfall bekommen). Und Oberkörperfrei-joggender Jogi.
Ich mochte die WMs (und EMs) weil ich Fußball mag. Ich mag gute Spiele, ich mag Taktiken und Strategien über die Vorrunde hinweg. Ich mag Analysen. Ich mag es, mit anderen zusammen zu gucken, das auch, aber Schland-gröhlend sich das Hirn wegzusaufen war nie so meins, wohl auch, weil ich dann nicht mehr so viel Aufnahmefähigkeit für den Fußball hab (und mich generell dieser immer schlimmer werdende Patriotismus verstört). Ich mein, 2006, Deutschland-Argentinien, Viertelfinale, ich irgendwo mit Freund_innen in ner Kneipe in Köln, was hab ich gezittert. Was haben wir geschrien. Nicht weil es um Schland ging, sondern weil es einfach verdammt spannend war. Ja, es ist momentan noch Vorrunde, klar. Aber wie kleine Störsender nerven mich schwarz-rot-gold farbende Fahnen, Tomaten, Süßigkeiten. Man kann sich kaum auf die Spiele einlassen, die Kommentierung nichtssagend wie langweilig („Die Menschen an der Copacabana haben ja eine ganz eigene Lebensfreude!“ – ja, klar, die haben auch keinen Béla Réthy der gefühlt alle Spiele kommentiert).
Und so weint mein kleines Fußballfanherz ein wenig, jedes Mal, wenn es den Fernseher anmacht oder auf Twitter die Spiele mitverfolgt. Es ist, als hätte eine Fußballbegeisterte Bevölkerung vollkommen vergessen, dass es in dem Konzept „Fußball-Weltmeisterschaft“ eben um Fußball geht – und nicht nur um Weltmeisterschaft.
Zeit, uns wieder daran zu erinnern.
Feedback, Fangesänge oder gut-kommentierte Spielestreams gerne an mina (ät) frau-dingens.de.
Dieser Text erschien zuerst auf stern.de als Teil der Stern Stimmen Reihe.