Ausgehend von Gamergate und den anhaltenden Belästigungen, Bedrohungen und Massen an Online-Gewalt gegen Feminist_innen, POC, Angehörige der LGBTQ Community und andere, vom weißen-cis-hetero-Standard abweichende (Meinungen vertretende) Personen, ist nun auch mit etwas Verspätung im deutschen Mainstream eine kleine Diskussion über „Umgangsformen im Netz“ angekommen. Oft wird dabei über „Mobbing“ und „Mobbing-Opfer“ gesprochen, über Shitstorms und „Shitstorm-Opfer“. Das Problem dabei ist, dass hier viele verschiedene Begriffe durcheinander geworfen werden, die oft die Situationen inadäquat darstellen und im schlimmsten Fall sogar verharmlosen.
Vorab sollte einmal klar gemacht werden, was die unterschiedlichen Begriffe bedeuten. Mobbing kennt man eigentlich aus dem beruflichen Kontext oder aus Schulen. Einzelpersonen werden isoliert und von der Gruppe, der sie durch eine äußerliche Struktur angehören, immer wieder andauernd beleidigt, belästigt, verletzt - auf emotionaler, körperlicher und geistiger Ebene. Dazu können Beleidigungen von Peers genauso zählen wie zu schwierige oder zu leichte Arbeitsstellungen von Vorgesetzten oder Lehrpersonal. Bei Mobbing kennen sich Täter und Opfer meist persönlich, schon allein dadurch, dass sie einer gemeinsamen Gruppe angehören. Mobbing zeichnet außerdem aus, dass es andauernd über einen längeren Zeitraum stattfindet. Über Mobbing im Gefüge Feminst_innen / Anti-Feminist_innen zu sprechen ist insofern falsch, da erstens die Ausübenden Anti-Feminist_innen den Betroffenen selten persönlich bekannt sind (meistens bleiben sie komplett anonym), sie keiner gemeinsamen Gruppe angehören und drittens die Art und Weise der Gewalterfahrung eine andere ist.
Ein Shitstorm ist dagegen eine heftige, zeitlich begrenzte, in Masse stark nach oben ausschlagende Erfahrung von Kritik. Von Shitstürmen spricht man meist dann, wenn Medien oder Einzelpersonen durch undurchdachte Kommentare, Taten oder Aktionen in Kritik geraten. Dabei kommt die Kritik meist von Aktivist_innen und richtet sich gegen inhaltliche Aussagen, weniger gegen Persönlichkeitsmerkmale oder Personen per se. Ein Shitstorm kann somit auch konstruktiv als Korrektur dienen. Beim Beispiel Gamergate wäre die Welle an Hass gegen z.B. Anita Sarkeesian als Shitstorm klassifizierbar, wenn sich die Kritik inhaltlich an ihre Videos oder ihr Handeln richten würde - jedoch geht es in den meisten Fällen (was die Menge ausmacht und das wiederrum überhaupt als Shitstorm klassifizierbar machen würde) um sie als Person, um sie als Feministin, um sie als Aktivistin, und weniger um konkrete Aussagen. Das ist generell ein Problem, das Aktivist_innen betrifft - wenn sie online Gewalt erfahren, dann geht es immer um sie persönlich, mit dem Ziel, dass sie aufhören mit ihrer Position zu existieren. Eine Wissenschaftlerin ordnete die Gamergate-Bewegung (die viel Ähnlichkeit mit deutschen anti-feministischen Gruppen hat) als eine Hate-Group ein (zum Vergleich: der KKK ist eine Hate-Group).
Folglich finde ich es höchst problematisch, bei den Erfahrungen, die Aktivist_innen machen, von „Mobbing“ oder „Shitstorm“ zu sprechen. Mobbing, weil es strukturell nicht passt (ohne dabei hier an dieser Stelle die Erfahrungen von Mobbing-Betroffenen kleinreden zu wollen, die können massiv sein) und Shitstorm, weil es impliziert, dass es um eine inhaltliche Auseinandersetzung ginge.
Was Aktivist_innen erfahren hat schon Begriffe im deutschen Sprachgebrauch: Bedrohung. Körperverletzung. Nötigung. Nachstellen. Stalking. Verleumdung. Sexuelle Gewalt. Gewalt.
Und noch ein paar Worte zum Thema „Opfer“.
Wenn es um feministische, queere, anti-rassistische Themen geht, kommt in Diskussion oft das Thema „Opfer-Abo“ hoch. Es wird dabei impliziert, dass von Rassismus, Sexismus, Homophobie usw. Betroffene ihren Opferstatus instrumentalisieren könnten, um damit ungerechtfertigt Vorteile zu erlangen, die sie als Nicht-Opfer nicht hätten. Es unterstellt eine Machtposition, die Betroffene und Opfer ganz einfach nicht haben. In medialen Diskursen wird trotzdem oft von Opfern gesprochen, und selten, ganz selten von „Täter_innen“. Die Aufmerksamkeit wird auf die Betroffenen gelenkt, nicht auf die sich falsch verhaltenden Täter_innen. Oft ist damit Victim-Blaming verbunden. Gleichzeitig füttern diese Artikel mit Fokus auf Opfer von online stattfindender Gewalt wieder die Lüge von den Aufmerksamkeit-heischenden Aktivist_innen, denen es nicht um die Sache ginge, sondern um persönliche Vorteile (die sie natürlich aus ihrer Opferrolle magisch herbei zaubern). Weiterhin ist mir aufgefallen, dass Opfer von Gewalt im Netz selten medial als Opfer behandelt werden. Gibt es bei analogen Opfern noch so etwas wie einen Opferschutz, insofern dass Gesichter verpixelt werden, Namen abgekürzt und generell versucht wird, Opfer aus dem Fokus zu nehmen, so scheint online alles in Ordnung - private Fotos, volle Klarnamen, Informationen zu Beruf oder gar Arbeitgeberin - alles schon gesehen. Auch hier muss dringend realisiert werden, dass ein Schutz der Betroffenen wichtig ist. Nur weil das Social Media Profil vermeintlich nur wenige Klicks entfernt ist, berechtigt das nicht dazu, den Opferschutz aufzuheben.
Ich würde mich freuen, wenn der Text vielleicht die eine oder andere zum Nachdenken gebracht hat. Ich selbst benutze die Begriffe manchmal auch falsch, anders oder vermengt, teils weil es einfacher ist oder weil der Gegenpart es besser versteht. Ich denke aber, dass wir alle zunehmend darauf achten sollten, wie wir Dinge bezeichnen um ihnen auch den Platz zukommen zu lassen, den sie benötigen.
Kommentare, Anregungen und Feedback gerne unten rein.

