Es war der 30. Mai 2009. Noch hatte keiner in den frisch bezogenen Betten geschlafen, der Kühlschrank war leer, die Toilette sauber, die Sitzecke aufgeräumt.
Als ich das erste Mal einen Tourbus betrat, ging für mich ein Traum in Erfüllung. Seit Jahren war ich davon besessen, mal einen von Innen sehen zu wollen. Aber ich war nie das „Groupie-Girl“, die erstens je von einem Bandmitglied angesprochen wurde und zweitens auch wirklich mitgegangen und somit vielleicht in Busnähe gelangt wäre. Ich war mit meinen Konzert-Freundinnen eher immer die stille Bewunderin und das war auch gut so. Denn ich wollte kein Fan sein – ich wollte mit Bands arbeiten und mittendrin dabei sein.
Mit harter Arbeit hatte ich mir dann schließlich nach meinem Abi 2008 ein Praktikum in der Musikbranche gesucht und in einer Plattenfirma für Rock- und Metalmusik gefunden. Anfang Mai 2009, mit der Planung einer vierwöchigen Tournee durch halb Europa, stand dann plötzlich fest: ich werde das erste Mal in meinem Leben auf Tour gehen und dort Merchandise verkaufen!!! So richtig konnte ich das aber erst glauben, als das Tourbuch und mein AAA-Pass mit Namen ins Büro geschickt wurden. Und selbst dann nicht richtig. Es war erst dieser 30. Mai 2009, als ich den Bus betrat, meine Schlafkoje aussuchte und meine Taschen verstaute, dass ich wusste, ich würde dabei sein. Und man, war ich aufgeregt.
Nachdem ich die Bands kennen gelernt und ich mich mit meinem Merch-Kollegen bekannt gemacht hatte, man so seine Geschichten ausgetauscht und Witzchen gerissen hatte und man ein paar Tage unterwegs war, war alles ganz easy.
Okay, easy sah anders aus, aber man gewöhnte sich an alles. An das schlechte Essen zum Beispiel (vor allem in England!). Oder die enge Bustoilette, auf der man ausschließlich immer(!) nur Pipi machen darf. Oder das Ruckeln deines „Bettes“, weil einen der Busfahrer während der Schlafenszeit von einer Stadt in die nächste kutschiert.
Woran ich mich nur schwer gewöhnen konnte, und das war natürlich auch meinem Übergewicht zu verdanken, war die scheinbar endlose Schlepperei des Musikequipments.
An den ersten Tagen hatte ich keinen Schimmer davon, dass auch ein Merch-Girl mit helfen muss und überließ den Männern das Tragen. Am dritten oder vierten Tag nahm mich dann aber mein Mentor zur Seite und verklickerte mir, dass es anders lief. Und seitdem lief der Schweiß. Der Sänger der Hauptband nannte mich, als ich mehrere Schlagzeug-Cases die Treppen in den zweiten Stock eines Clubs in Glasgow, UK hochhievte, liebevoll „Marika – Hungarian Wrestling Queen“. Ich hatte eine Menge Kraft und verdammt noch eins, die habe ich wirklich gebraucht. Aber es war ein schönes Gefühl, jeden Tag so viel zu tun zu haben und sich Herausforderungen zu stellen. Auch am Merch-Stand blieb das nicht aus. Manchmal gab es zu wenig Platz, um all seine Kisten um sich aufzustellen. Manchmal gab es keine Flächen um T-Shirts aufzuhängen. Manchmal waren es einfach so wenig Leute, dass man (fast) gar nichts verkaufte und man wie bestellt und nicht abgeholt hinter seinem Tischchen stand und dabei nicht einen Cent verdiente. Manchmal das ganze Gegenteil und man nicht wusste, wo einem der Kopf stand und wo man das ganze Geld hinstopfen sollte.
An freien Nachmittagen oder Tagen gänzlich ohne Show hatte man immer die Gelegenheit, sich die Stadt anzugucken, sinnfreie Dinge zu tun oder sein hartverdientes Geld wieder auszugeben. Ich dagegen entschied mich oft dafür, einfach am Computer zu sitzen oder Tagebuch zu schreiben. Aber auch das bereue ich nichts, denn ich habe tolle Erinnerungen gesammelt und lese sie immer wieder gern nach. So werde ich z. B. nie vergessen, wie ein betrunkener Fan mich in Deventer (Niederlande) ständig erst nach einer Umarmung, dann einem Kuss fragte, ich dies verneinte und er mich irgendwann „Bitch!“ nannte, woraufhin die Sängerin der Supportband, für die ich gearbeitet hatte, ihn verbal richtig zusammenfaltete und letztendlich sogar wegschubste (Frauenpower! <3).
Von dieser ersten Tournee bleiben glücklicherweise neben den Erinnerungen auch die oben genannten Erfahrungen mit Organisation, Zeitmanagement und dem von mir immer anstrebten Ziel, professionell zu verkaufen, sich makellos zu präsentieren und dem Fan vor allem am Merch ganz viel Aufmerksamkeit und Freude zu schenken.
Und als ich 2010 auf Tour war, hatte sich schon vieles geändert. Ich war fitter und viel selbstbewusster, ich wusste die genauen Abläufe des Tages, ich konnte mich besser strukturieren und damit auch besser mich und mein Band-Merchandise verkaufen.
Aber mit der Erfahrung, kam auch die Freiheit, sich auch mal mit anderen Dingen zu beschäftigen… was zu ganz viel Spaß und manchmal auch zu Tränen führte.
Lest in den kommenden Teilen: welche „Regeln“ es auf Tour gibt, was im Tourbus alles so passieren kann und warum es manchmal gar nicht so schlecht wäre, seinen Ausweis zu vergessen.