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Not That Kind of Girl.

Die ersten lyrischen Schritte unternahm ich auf dem Umschlag eines kleinen gelben Reclam-Heftchens. Mit blauer Tinte sinnierte ich über das Gute und das Böse, die Titelseite vollgeschrieben, die Innenflächen ausgenutzt und immer weitere Wörter hinzugefügt. In Deutscharbeiten flossen Sätze um Sätze aufs Papier, ich schrieb hektisch und schnell und wie gehetzt, so als könnte der Strom jederzeit abreißen und das mysteriöse Quell all dieser Gedanken und Worte plötzlich versiegen.

Laut schrieb ich gegen einen Herzschmerz an der niemals Herzschmerz war, schwer und tragend und mächtig, viel zu dunkle Gefühle für ein Mädchen mit wilden Haaren und einem Kleiderschrank voller Komplexe. Regelmäßig ließ ich Aderlass aufs Papier, immer wieder, kurze, manische Phasen, so lange, bis ich keine Worte mehr hatte und sich ein beruhigendes Vakuum im Kopf einstellte. Meine Beziehung zur Lyrik war zu gleichen Teilen Sturm und Drang: mächtig, stürmisch, dringend.

Später, viel später, verstummte mein Drang zu schreiben. Statt Reclamheftchen gab es Exceltabellen, statt warm blauer Füllertinte dreckige Tastaturen. Im kalten Neonschein des Alltags war kein Platz für dramatische Romantik und romantische Dramatik. Nein, Dunkelheit war mein Metier, Buchstaben scharf wie Klingen, eine Messerwerferin auf die Schattenwand des eigenen Selbstbilds. Lyrik, meine alte Liebe, an die ich nur mit Kummer zurück denken konnte, sie hatte mich verlassen und mir war nicht einmal klar ob es an mir lag oder sie einfach nicht bereit für mich war.

Doch wenn ich einmal wieder anfange, die Fingerspitzen erst sanft, dann immer nachdrücklicher auf schwarze Tasten pressend, dann ist sie wieder da, meine erste Liebe. Wie das unwillkürliche Gefühl an einem sonnigen Herbsttag durch buntes Laub zu rascheln, in Decken gewickelt Regentropfen zu zählen oder nach einem Gewitter die feuchte Luft einzuatmen: Geborgenheit im Mit-Sich-Selbst-Sein, innere Ruhe, Ausgeglichenheit und das unbestimmte Gefühl, das alles irgendwie richtig sein wird. Ein Gefühl wie genau dieser eine Taylor Swift Song, melancholisch, schmerzschön, voll Sehnsucht und Zufriedenheit.

Lena Dunhams Buch ist all das – auf Papier gepresste Essays voll tragischer, lustiger, wunderlicher, ernster und kindlicher Momente. Man kann sich in den Inhalten verlieren – und das geht schnell, so großartig wie sie sind-, aber für mich ist es vielmehr ihr Schreibstil der heraussticht – eine Liebeserklärung ans Schreiben, an Worte, an Sätze; an halb angedeutete Metaphern und paraphrasierte Wahrheiten. In einer Zeit in der die erfolgreichsten Bücher von mittelalten erwachsenen Männern geschriebene Jugendbücher sind ist ein Buch wie „Not That Kind of Girl“ im Mindesten mutig: aber vor allem roh, ehrlich, unbequem und voller Kontraste.

Ein Lese-Muss, nicht nur – aber gerade auch! - für Menschen mit vernachlässigten alten Lieben. 100/10, would not only recommend but also write a love essay about it.

 

Titelbild: „written in slumber“ von matryosha, via Flickr, unter CC BY 2.0 Lizenz.