Ich stolperte heute über den schönen Artikel von Das Nuf zum Umgang mit Hasswellen im Netz. Sie versucht etwas gegen die Hilflosigkeit zu finden - und bittet um Ergänzung. Aus verschiedenen Gründen hat mich der Artikel berührt, und deswegen folgen hier ein paar Gedanken von mir.
Das erste, das mich im Artikel beschäftigt, ist der Aufruf, den Menschen am anderen Ende zu sehen. Ein schöner und wichtiger Gedanke - und genau der Grund, warum ich es problematisch finde, „Trolle“ (oder, wie ich sie nenne: Hater) als soziopathische, menschenhassende Orks zu sehen. Ich habe wirklich lange und oft darüber gegrübelt, was Menschen dazu antreibt, in solchen Shitstorms immer weiter zu machen. Um das zu verstehen versuche ich mich mal an einer Charakterisierung der verschiedenen Arten von Hatern - die von mir vollkommen persönlich erfolgt und natürlich ebenso persönlich bewertet ist. Die Typen sind nicht überschneidungsfrei, und einige Personen wechseln auch je nach Tagesform zwischen den Typen hin und her. Was ja auch menschlich ist…
1. Der Agitator*
Am lehrreichsten war für mich ein Kommentar eines Maskus, der seinen Account um die #aufschrei Zeit herum kreiierte und seit dem täglich anti-feministische Thesen in den Raum wirft: er würde mir persönlich alles Gute wünschen aber er wäre froh, dass „Menschen wie ich politisch scheitern“. Dem Agitator geht es um langfristige, politische Ziele. Also muss es Aktivist_innen bei allem, was sie öffentlich äußern, auch darum gehen. Ebenso agiert er langfristig. Er hat einen guten Überblick über die aktivistische Szene und versucht gezielt mit Behauptungen und Bewertungen dem aktivistischen Ziel zu schaden, so scheint es. Die Personen sind ihm wohl erst mal egal - es geht um das Ziel, in dem Falle zu zeigen, dass „dieser spezielle radikale Feminismus“ gefährlich ist. Er lässt sich nicht herab offene Beleidigungen zu schreiben wie „H*re“, dafür schreibt er munter zwischen den Zeilen Bewertungen über deine Tätigkeiten, Intelligenz und vor allem: Intentionen. Denn er hat viel mit dem zweiten Typ Hater zu tun: er psychoanalysiert gerne. Der Agitator ist auch bei anerkannten Onlinemedien zu finden, z.B. bei der FAZ.
Das Gefährliche: nur, weil er einen vermeintlich sachlichen Ton anschlägt macht ihn das nicht weniger belastend. Auch wenn ihn bereits fast alle Aktivist_innen geblockt haben, hält ihn das nicht davon ab, wie ein Stalker täglich mehrere Mentions in den Weg zu werfen und immer wieder über die Person zu diskutieren. Er zermürbt, und, das ist auch ein Problem, mag auf Unbeteiligte erst einmal „ganz okay“ wirken.
2. Der Psychoanalytiker
Der Psychoanalytiker hat alle Aktivist_innen durchschaut. Er weiß genau warum sie was tun („Geld“, „Aufmerksamkeit“, „Hass auf Männer/Deutsche/Weiße/…“) und ihm geht es nun darum, dies in die Welt zu tragen. Die Aktivist_innen müssen entlarvt werden!
Das Gefährliche: er saugt sich alle Informationen zusammen, die er über die Personen bekommen kann, um sie dann mit abstrusen Theorien in die Welt zu posaunen. Von missglückten Karrieren bis zu unglücklichen Beziehungen oder gar schlechtem Sexleben ist er sich für nichts zu schade, Theorien über die Aktivist_innen anzustellen. Das eigene Privatleben so ekelhaft und falsch in der Öffentlichkeit debattiert zu bekommen tut weh und zermürbt.
3. Der Grollende
Der Grollende hat einen großen Bauch voll Wut. Auf alle, die ihn bedrohen - und seine Privilegien. Auf alle, die er doof findet. Auf die Welt. Auf Frauen. Auf Schwarze. Auf … - Der Grollende ist wütend, und hat Angst, und wie ein in die Ecke gedrängtes Tier beißt er um sich. Er ist vollkommen unberechenbar und schlägt aus. Mit Beleidigungen, mit Attacken. Er muss gehört werden, um jeden Preis. Muss sich gar nicht bewusst sein, dass er Groll oder Angst in sich trägt, das Um-Sich-Schlagen kann auch durch tiefsitzende Misogynie (oder Rassismus, …) oder auch ganz spontan („hat mich provoziert“) hervorgerufen werden.
Das Gefährliche: wo gebissen wird gibt es Bisswunden. Der Grollende kann schnell verletzen. Er mag sich zwischenzeitlich wieder abkühlen, oder seinen Groll anders fokussieren, aber er bleibt unberechenbar und deswegen auch schwer abzuwehren.
4. Der Freerider
Der Freerider kommt dazu, wenn der Shitstorm schon in vollem Gange ist. Er selbst würde sich nicht trauen, jemanden einfach so zu konfrontieren, aber wenn er sieht, dass andere das bereits tun, springt er mit Freude auf den Wagen auf. Die Menge macht es für ihn sozial akzeptabel und sicher, sich so zu äußern, wie er es heimlich schon immer wollte. Er kann es jetzt endlich heimzahlen. Überschneidet sich gerne mit dem Grollenden.
Das Gefährliche: je mehr Freerider aufspringen, desto mehr andere Freerider werden angelockt. Kann nur durch die Gemeinschaft unterbunden werden, die schnell und aktiv Menschen anspricht. Durch Freerider gewinnen Shitstorms an kritischer Masse und führen dazu, dass die Betroffenen überrollt werden.
5. Der Follower
Anders als der Agitator steuert der Follower nicht bewusst anti-aktivistische Kampagnen, sondern er springt mit auf - ähnlich dem Freerider, nur langfristiger. Wie für den Agitator ist der Kampf gegen die gewählte Form von Aktivismus ein Hobby - und Vollzeitaufgabe. Wenn eine Aktivistin ein Interview gegeben hat, etwas geschrieben hat oder sich sonst öffentlich geäußert hat, ist es seine Pflicht, sich damit zu beschäftigen. Kann auch schon mal ausfallend werden, im Gegensatz zum Agitator.
Das Gefährliche: best worst of both worlds: Freerider und Agitator.
6. Der Stalker
Der Stalker beobachtet seine Ziele aufs Genaueste. Er hat alle Accounts in den Favoriten, schreibt täglich, über lange Zeit. Muss ich Stalker noch erklären?
Das Gefährliche: er ist ein Stalker.
So weit, so gut. Und jetzt - was tun? Ich finde, eine der wichtigsten Dinge ist, zu erkennen, dass eben hinter all den Hatern Menschen stecken, mit eigenen Zielen und Mustern. Jedes Muster verletzt unterschiedlich. Sexuelle Gewalt verletzt anders als Verleumdung oder Stalking. Dabei gibt es keine Rangliste der Verletzlichkeiten. Was einer Person sehr weh tut lässt die andere vielleicht kalt. Was einer Person nichts ausmacht lässt die andere vielleicht nachts nicht mehr schlafen.
Alles davon ist Gewalt.
Und das führt mich zu einem letzten Typen (kein Hater per se, aber nicht minder gefährlich), nämlich:
7. Der Bystander
Der Bystander steht daneben und beobachtet genau. Manchmal findet er die Kriege im Netz nur unterhaltsam. Manchmal schockiert ihn das tatsächlich und trifft, ist aber am nächsten Tag wieder vergessen. Der Bystander zeichnet sich durch Schweigen einerseits, und gut gemeinte, aber schlecht ausgeführte Ratschläge andererseits aus. Sobald etwas passiert, weiß er x verschiedene Gründe, warum der Hater kein Hater ist - kein Ork, sozusagen: weil er doch so ein guter Junge ist. Weil er kein Sexist sein kann. Oder Rassist. Oder oder oder. Der Bystander sieht sich selbst als aufgeklärt, will aber nichts damit zu tun haben - er steht vermeintlich über den Dingen.
Das Gefährliche: durch die vermeintliche Objektivität wertet er Erlebnisse und Erfahrungen der Betroffenen ab. Nur was er als schlimm empfindet kann auch schlimm sein. Im schlimmsten Falle kennt er Freerider oder andere Hatertypen persönlich oder erkennt sich selbst in ihnen wieder und solidarisiert sich so mit ihnen, in dem er ständig den Devil’s Advocate spielt. „Ja, aber“ ist seine Catchphrase. Er kann schnell fälschlicherweise als Verbündeter von Aktivist_innen verstanden werden, wenn es Hart auf Hart kommt tut er allerdings nichts.
Und auch das möchte ich hier jetzt deutlich schreiben: wer eigentlich etwas tun könnte, aber nichts tut, der begeht unterlassene Hilfeleistung (vielleicht nicht im rechtlichen Sinne, aber zumindest im moralischen). Wer bei Gewalt schweigt, lässt diese zu. Es gibt eine große Ausnahme, und zwar wenn der Bystander sein Bedürfnis unterdrückt, sich zur objektiven Instanz aufzuspielen. Oder, wie Das Nuf schön schreibt:
Wenn ihr mal nicht der Meinung bestimmter Menschen, die permanent Angriffen ausgesetzt sind, seid: sagt einfach nichts. Keine zusätzliche Kohlen ins Feuer werfen, wenn es nicht unbedingt sein muss. Dieser Punkt mag einige empören, aber ganz ehrlich: manchmal lohnt es sich Nutzen und Kosten abzuwägen und darüber nachzudenken auf wessen Kosten etwas geht und jemanden, der ohnehin schon ständigen Angriffen ausgesetzt ist, nicht noch zusätzlich zu schwächen. Ich finde es verständlich, dass Menschen, die ständigen Attacken ausgesetzt sind nicht immer die differenziertesten Dinge von sich geben. Deswegen seis drum. Einfach mal nichts sagen.
Für alle anderen gilt: ihr habt schon viel zu lange den Mund gehalten.
*ich schreibe absichtlich im generischen Maskulinum.
Titelbild: „Hater“ von carnagenyc, via Flickr unter CC BY-NC 2.0 Lizenz