Teile Deutschlands haben wieder gewählt und andere Teile Deutschlands halten wieder kollektiv den Atem an: das Schreckgespenst AfD geht um. Ganz „überraschend“ hat die AfD den Sprung in Landtage geschafft, und ganz „überrascht“ reagieren wieder verschiedene Medien und Teile des Netzes.
Doch der Erfolg der AfD ist nichts, was wirklich schockieren oder überraschen sollte - die Grundstimmung in Deutschland ist eine konservative, und das nicht erst seitdem es die AfD gibt. Der wirtschaftliche Erfolg im Land vor der Kulisse der Weltwirtschaftskrise hat diese Bevölkerung, die ohnehin wie wenige andere in Europa spart, veränderungsunwillig gemacht. Stabilität, nicht ohne Grund erfolgreicher Wahlslogan der Union, wird groß geschrieben: auf der Arbeit, auf dem Konto, und im Privaten. Der Status Quo soll unbedingt erhalten werden, das Wirtschaftswunder der 60er Jahre wird mit verzücktem Mund in einem Satz mit den Fußballweltmeisterschaften 1954 und 2014 genannt, und überhaupt, so wie früher, da war alles super und warum etwas verändern.
Kein Wunder also auch, das subtil - oder auch offen - rassistische, homophobe oder gerne auch sexistische Ressentiments geschürt werden, ob im Tatort oder bei Wetten Dass, ob auf die Frage warum ein gleichgeschlechtliches Paar keine Kinder adoptieren darf oder bei der spannenden und umstrittenen Frage, ob Männer noch mit Frauen alleine im Aufzug fahren können. In Talkshows wird munter Rassismus, Homophobie und Sexismus in Buchform diskutiert und durch mangelnde Einordnung immer wieder reproduziert. Ja, darüber reden kann man, aber nur zur Unterhaltung, nur kurzweilig, ohne ernsthafte Folgen bitte, würde das nämlich ja sonst bedeuten, dass man sein eigenes Verhalten überdenken und im schlimmsten Fall verändern müsste.
Veränderung, nein, das will dieses Deutschland nicht, zumindest nicht nach vorne, nur nach hinten, und ist das ernsthaft etwas, das überrascht? Klassismus wohin man guckt, die gute alte Leier dass sich Hartz 4 Eltern lieber Zigaretten kaufen statt den Kindern ein Buch ist so schnell über die Lippen gekommen wie das Wort Sozialschmarotzer, der wirtschaftliche Aufschwung munter auf den Rücken der Leiharbeiter und Zeitarbeiterinnen und Teilzeitkräfte und Schwarzangestellter ausgetragen, die Mitte der Gesellschaft sitzt bequem auf dem Sofa während andere Schichten auf den Plastikstühlen im Jobcenter platznehmen. Für die Mitte soll sich nichts ändern, sie legen abends die Füße hoch, gut gemacht, und für die, denen zwei Jobs nicht reichen um ein Kind durch die Uni zu bringen - wovon träumst du nachts? - für die kann Veränderung nicht schnell genug kommen, und jede Versprechung auf ein besseres Leben ist eine wählbare. Aber damit nicht genug, denn den Erfolg der AfD mit einem Milieu gleichzusetzen ist verkürzt, schließlich bietet die AfD noch etwas, das lockt: die Freiheit das sagen zu dürfen, was man ja noch mal sagen wollte.
Also ernsthaft, Butter bei die Fische, man kann nicht mal Hü mal Hott machen, entweder man lebt diese Ressentiments gegen Lesben und Schwule und Muslime und Sinti und Roma und Putzfrauen mit Kopftuch und reproduziert sie wo es nur geht, oder man klärt auf und kämpft dagegen an - aber wenn man das gesellschaftliche Bett schon so schön macht und noch ein Betthupferl drauf legt, dann muss man sich nicht wundern, wenn die AfD sich auch reinlegt.
Bis dahin - gute Nacht, Deutschland.