Are you professional or not?*

In den letzten Wochen, post-Wahlausgang und pre-Koalitionsverhandlungen, konnte man einiges über die (vermeintlichen) Zustände der verschiedenen Parteien lesen. Einige Runden traten geschlossen zurück, andere fielen in eine Schockstarre, wieder andere sparten sich die interne Analyse gleich ganz. Zur SPD verlor ich schon einige Worte, und ja, ich weiß, ihr atmet schon tief ein weil ihr glaubt, jetzt kommt wieder ein feministischer Nörgelartikel konstruktives Feedback zur Partei, aber keine Sorge, mir geht’s heute mal nicht um die Männer(tm) und ihre Netzwerke(tm) Homosozialität, sondern um was ganz anderes: den Professionalisierungsgrad politischer Organisationen.

In der letzten ZEIT war ein Interview mit Harper Reed, seines Zeichens verantwortlich für die Analysen zu Wähler_innenverhalten in Obamas letzten Wahlkampf. Auf eine Frage hin antwortete er, dass er in Deutschland von Mitarbeitern Peer Steinbrücks angesprochen wurde, der SPD bei der Datenanalyse zu helfen, er jedoch ablehnte (u.a. auch weil er sich mit der deutschen Politik und den Werten der SPD zu wenig auskannte, fair enough). Ich kam ein bisschen ins Grübeln, und erinnerte mich daran, wie gehyped alle 2009 auf Obamas ersten Wahlsieg geblickt hatten und im Wahlkampf so super modern mit diesem neuen Twitter und mittelneuen Facebook hantierten. 2012 war Social Media mehr oder weniger gesetzt, eine gründliche Big Data Analyse blieb jedoch aus. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, ich möchte auf dieses Symptom jetzt auch gar nicht so detailliert eingehen (dafür fehlt mir auch zu viel Wissen, was genau im Detail besprochen wurde). Symptom? Jupp, genau. Symptom.

Die SPD wollte 2011 mit ihrer Parteireform die “modernste Partei Europas” werden. Erst gestern kam wieder ein Newsletter, in dem es hieß: “Wir setzen Standards für eine moderne Mitgliederpartei, an denen sich andere in Zukunft orientieren werden.” Starke Worte für eine Partei, der es nach wie vor an Diversität (in x-Dimensionen), Flexibilität und in weiten Teilen Modernität (was auch immer das heißt) fehlt. Doch die homosoziale Verhaltensstarre und kognitive Dissoziation sind nicht nur Hindernisse auf dem Weg zur modernen Partei - sie sind Symptome für mangelnde Professionalität, also der Professionalisierung als Weg weg von einer Klüngelrunde, in der miteinander bekannte Personen Politik machen, hin zu einer offenen, transparenten, professionellen (lesbar als: sachlich-konstruktiven) Organisation, in der gleiche Chancen und Einflussmöglichkeiten herrschen.

Aus der Organisationstheorie und dem Strategic Management kennt man verschiedene Koordinationsformen innerhalb von Organisationen, mit Hilfe derer sich Individuen absprechen und so die gemeinsame Erschaffung von etwas ermöglichen. Dieses “etwas” könnte, auf Parteien übertragen, z.B. ein Wahlkampf sein - aber auch kollaborativ entstehende Anträge, eine Parteireform oder ein interner Strukturwandel. Bei den Koordinationsformen sind für Parteien vor allem “Regeln und Vorgaben” sowie “Routinen” hervorzuheben. Weiterhin werden Parteien über eine strikte Hierarchie gesteuert, über der ein Parteivorstand mit angebundenen Querschnittsfunktionen sitzt. Unter dem PV gibt es wiederum Landesorganisationen mit jeweils eigenen Querschnittsfunktionen. Über all dem liegt die Satzung (Stichwort Regeln und Vorgaben).

Das Problem an dem Koordinationsmechanismus “Regeln und Vorgaben” ist: er eignet sich besser für standardisierte Aufgaben und Tätigkeiten (z.B. Personalwahlen) und gibt wenig Spielraum für flexible Entscheidungen - für eine Partei im Wahlkampf also eine denkbar schlechte Wahl, ebenso wie für eine Partei, die sich modernisieren möchte. Wird eine Organisation über “Routinen” gesteuert, setzt dies andererseits enge Zusammenarbeit und gegenseitige Abhängigkeit zwischen Individuen voraus. Bei einer Organsiationsform mit etwa 500.000 Individuen eine schier undenkbare Koordinationsform, sie könnte jedoch ggf. in einem kleinen Team funktionieren - würde man nicht genau diese homosoziale Konstellation aufbrechen wollen auf dem Weg hin zur Modernisierung.

Aber es gibt noch mehr Probleme: wie stellt man Kooperation in einer Partei sicher, die voller Agency-Problematiken steckt? Kurzer Exkurs zur Principal-Agent-Theory: ein Principal (Auftraggeberin) beauftragt einen Agent (Auftragnehmerin) mit einer Leistung. Zwischen beiden herrscht eine Informationsasymmetrie, in dem Sinne, dass der Agent einen Wissensvorsprung gegenüber dem Principal hat. Da beide ihren individuellen Nutzen maximieren möchten, wird der Agent diesen Vorsprung wohl ausnutzen. Meist wendet man diese Theorie bei Verträgen an (wenn ich z.B. bei einem Gebrauchtwagenhändler ein Auto kaufen möchte, hat dieser einen Wissensvorsprung und wird diesen durch höhere Preise ausnutzen…), aber auch bei organisationstheoretischen Überlegungen. Bei einer Partei ist sie dann relevant, wenn es darum geht, den eigenen Status, eine (Wieder-)Wahl oder schlicht die eigene Stelle zu sichern. Dies funktioniert in beide Richtungen: Mitarbeiter_innen, die mit Analysen beauftragt werden, haben einen Wissensvorsprung ggü. der Vorgesetzten, und die Parteivorsitzenden, die von der Basis mit einer Parteireform beauftragt werden, haben einen Wissensvorsprung ggü. der Basis. Und so weiter…

Die Agency-Problematik taucht in allen Formen menschlicher Interaktion auf und ist hierarchieunabhängig. Als Lösungsansatz für eine Partei eignen sich geteilte Werte wohl besser als die üblichen Kontrollmechanismen und finanziellen Anreize. In Unternehmen nennt man das oft “Leitbild”, in Parteien ist es der inhärente Selbstzweck. Theoretisch, zumindest. Denn ohne gänzliche Kontrollmechanismen verkommt eine Partei schnell zu einer Organisationsform, die z.B. offene Stellen überhaupt nicht mehr ausschreibt und die Agenten (Entscheider_innen) ihren Wissensvorsprung gegenüber der Organisation so ausnutzen können, dass diese meist über (persönliche) Netzwerke besetzt werden. Wo wir wieder bei der Homosozialität wären. Organisationen, die ihre Agency-Probleme hauptsächlich über geteilte Werte lösen sind übrigens Kirchen, Mafia-Vereinigungen und Apple.**

Parteien versuchen diesen Konflikt überdies hinaus durch ihre Hierarchien (und damit verbundenen Personalwahlen) zu lösen. Dass Wahlen in Parteien und die Übernahme politischer Ämter per se nicht so gleich und gerecht sind, wie sie auf den ersten Blick theoretisch erscheinen, kann man sehr gut bei Swartz und natürlich Bourdieu nachlesen. Hierarchien in Parteien erfüllen jedoch noch einen weiteren Zweck, der über die Möglichkeit der politischen Partizipation hinaus geht: sie dienen als Kontrollinstrument durch Bürokratie. Dies lässt sich an der SPD beispielsweise gut durch das kontinuierliche einfach nicht Zustande-Kommen der virtuellen Ortsvereine ablesen, oder den unmöglich hohen Quoren bei Mitgliederbegehren und -entscheiden. Weber basierte Bürokratie einst u.a. auf hierarchischen Strukturen, Koordinierung und Kontrolle, standardisierten Beschäftigungen und Normen sowie der Formalisierung. Eine Partei ist sicherlich eine besondere Form der Bürokratie, nichtsdestotrotz ändert es nichts an ihrem bürokratischen Charakter.

Die bürokratische Form wurde in den letzten Jahrzehnten in vielen Organisationen jedoch vermehrt von organischen Organisationsformen abgelöst. Diese sind durch weniger formalisierte Strukturen, weitere, vielfältigere Jobbeschreibungen und flexible, mulitdirektionale Interaktionen gekennzeichnet. In der informellen Hierarchie von Parteien mag dies bereits durchaus im Hintergrund so geschehen, während die formelle Hierarchie und Aufgabenverteilung den derzeitigen Status der jeweiligen Hierarchien erhält und unprofessionelles, sprich nicht-sachbezogenes und nicht immer konstruktives, Verhalten fördert. Viele Unternehmen und andere Organisationen haben jedoch erkannt, auch unter Einbezug von verhaltenspsychologischen Erkenntnissen, dass eine bürokratisch-hierarchische Organisation oft weniger produktiv, effizient und gerecht arbeitet als eine organische Organisation. Als Vorreiter für organische Organisationen werden oft Unternehmen aufgeführt, die zu New Economy Zeiten (durch)starteten: Google beispielsweise mitsamt flacher Hierarchie und Fokus auf Work-Life-Balance.

Der Einbezug sogenannter weicher Faktoren wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Diversitätsförderung oder die Möglichkeiten von Homeoffices, haben die Organisationsentwicklungen der letzten Jahrzehnte geprägt. Eigentlich geht sie jedoch schon viel weiter zurück: in den frühen Arbeitersiedlungen in Rheinland und Ruhrgebiet baten große Konzerne ihren Arbeiter_innen und Familien großflächige Erholungsmöglichkeiten in Form von Schwimmbädern, Kinderbetreuung oder auch Parks. Nicht zuletzt die Sozialdemokratie in ihrer frühen Form trug dazu bei, der reinen Reduktion von Menschen auf ihre Arbeitskraft in Deutschland Einhalt zu gebieten. Umso verwunderlicher ist es, warum rein deutsche Organisationen in großen Teilen - sowohl in Wirtschaft, Medien und Politik - internationalen Counterparts nun oft hinterherhinken, was die Modernisierung oder Professionalisierung der Arbeitsumgebung angeht. Konzepte wie Homeoffice scheinen schwer auf die starre hierarchische Bürokratie übertragbar zu sein, insbesondere im Bereich der Politik. Und nicht zuletzt das Umgehen in der eigenen Organisation der selbst geschaffenen Regeln und Vorgaben für andere Organisationsformen, z.B. im Bereich des AGG, verhindern das Entstehen organischer Strukturen und stabilisieren so die fixen formellen und informellen Entscheidungswege.

Das Problem der mangelnden Professionalisierung in der deutschen Politiklandschaft ist jedoch weniger ein Problem der Organisationsform als ein Problem des strategischen Managements, wie nicht zuletzt das Beispiel der Piratenpartei zeigt. Es scheint in deutschen, p0litischen Organisationen taktische Überlegungen zu Gremien, Gliederungen und Funktionen zu geben, stets jedoch höchstens mittelfristig geplant und an personelle Konsequenzen gebunden. Eine strategisch sauber implementierte Vision, wie Politik sich als Einheit selbst organisieren sollte - und damit zwangsläufig auch interessanter für habituell nicht verankerte Gruppen werden könnte - fehlt. Auf dem Weg zu moderner Politik und Anreizen für politische Partizipation muss daher weiter gedacht werden als Quoten und Arbeitsgruppen: eine institutionelle Änderung bedarf einer anderen Geisteshaltung, einer Vision und vor allem strategischem Management. Kurz: es bedarf Professionalität.

Die deutschen politischen Organisationen werden weiterhin so lange vor Innovation verschlossen bleiben und folglich eine Legislaturperiode später die von professionelleren Organisationen erarbeiteten Tools übernehmen, wie sie weiterhin an Symptomen herumdoktern. Eine schwindende Mitgliederzahl und steigende Homosozialität sind nur die logische Folge.

 

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* Der Titel ist eine Referenz auf Christian Bale.

** neben Apple wären noch NGOs zu erwähnen, die auch oft über gemeinsame Werte gesteuert werden. In der Aufzählung klingt es aber lustiger ohne die Zunahme von NGOs. Es sei mir verziehen.

Für weitere Infos könnt ihr euch
Grant (2005): Contemporary Strategy Analysis, sowie
Swartz (2012): Grundzüge einer Feldanalyse der Politik nach Bourdieu
reinziehen. Viel Spaß!

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