Fast zwei Wochen ist die Bundestagswahl nun her. Mehr als genug Zeit für mehr oder weniger schlaue Analysen zu Wahl, Nicht-/Wähler_innen, Politiker_innen, Programmen und Parteien. Mehr als genug Zeit für Rücktritte und erste Schritte in eine neue Richtung. Vor allem aber auch: gerade so genug Zeit, um das Fenster zwischen „alles muss neu!!!1“ und „passt schon“ nicht zu verpassen. Erst recht nicht, wenn man in der SPD ist.
Die Probleme der SPD sind nicht neu, sie sind fest gefahren und permanent. Sie werden sich nicht durch kluge Analysen oder einen reingeworfenen Mitgliederentscheid ändern. Sie sie sind altbekannt und unterschätzt zugleich. Doch nach zwei furios verlorenen Wahlen fällt die Flucht in zusammen gestauchte Parteireformen und ad hoc Aktionen immer schwerer: es muss sich was ändern, und dieses „was“ ist kristallklar und unüberhörbar.
1. Des Pudels Kern
Wofür steht die SPD? Was bedeutet „Arbeiterpartei“ im mittlerweile dritten Jahrzehnt des wirtschaftlichen Strukturwandels hin zur Wissens- und Informationsgesellschaft? Welche Rolle spielt die Sozialdemokratie in einem Land, dessen soziale Mobilität nach oben im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich ist? Es fällt viel zu schwer, eine klare Antwort darauf zu geben - zumindest vielen Wähler_innen. Während die SPD sich langsam auch programmatisch wieder linker aufstellt und versucht, sich ihren ehemaligen Kernthemen wenigstens anzunähern, hat sie es versäumt, dies auch außerhalb der Partei ordentlich zu vertreten. Man kann darüber streiten, ob ein Flügel der SPD personell zu stark vertreten ist oder ob er schlicht zu laut krakeelt, an der Dissonanz zwischen sozialdemokratischen Werten und den Assoziationen einer kompletten verlorenen Wählerschicht ändert es nichts. Erschwerend hinzu kommt die schwer erkennbare, verfehlte Kommunikationsstrategie, in der es hauptsächlich um Abgrenzung des eigenen vagen verschwommenen Profils von klar positionierten und stabilen anderen Parteien geht - anstatt das eigene Profil kommunikativ zu schärfen.
2. Glaubwürdigkeit
Aber selbst in den Bereichen, in denen die SPD visionär arbeitet und Lösungsansätze geschaffen hat, wird sie nicht gewählt. Als ich kurz nach der Wahl - natürlich nicht repräsentativ - auf Twitter fragte, warum Menschen die SPD nicht wählten und was passieren müsste, damit die SPD wieder wählbar würde, war die Antwort eindeutig: es fehlt an Glaubwürdigkeit. Der SPD wird das „S“ nicht mehr abgenommen. Nicht sozialdemokratisch genug, nicht links genug, und vor allem allem allem: nicht glaubwürdig genug.
@miinaaa Die SPD hat halt aufgrund ihrer vergangenen Aktivitäten massives Glaubwürdigkeitsproblem. Es fehlt Vertrauen.
— tante (@tante) September 24, 2013
@miinaaa mir fehlte das Vertrauen. Das Programm war super. Vielleicht braucht es einen Generationswechsel…
— Clara (@ClaravonHeidi) September 24, 2013
@miinaaa Vertrauensmangel, Gefahr des Umkippens bei wichtigen Positionen (Netzneutralität, Mindestlohn), Schlechte Positionen bzgl. VDS,…
— flarion (@0xflarion) September 24, 2013
Das komplette Drama um das netzpolitische Versagen der SPD und den damit verbundenen Ausverkauf sozialdemokratischer Werte bei VDS und LSR sind dabei Symptome für ein tiefgreifenderes Problem. Netzpolitisch kann die SPD keinen Blumenkorb mehr holen, nicht mal für ihre schönen roten Rosen, weil ihr niemand auch nur drei Zentimeter über den Holzweg traut. Natürlich ist die Netzpolitik für die Bundestagswahl weitestgehend irrelevant, wie einige Aktivist_innen nach der Wahl erstaunt feststellten. Aber auch im von Hartz IV verbrannten Feld der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik kommt die SPD auf keinen grünen Halm mehr an den Wähler_innen sich bei Wahlen gerne klammern würden.
3. Diversität
Dass die Partei zu männlich ist, zu alt, zu homogen in Spitzenpositionen, ist seit Jahren bekannt und wurde auch dieses Jahr Monate vor der Wahl immer wieder und immer wieder adressiert. An Analysen fehlt es wahrlich nicht, auch nicht an Lösungsansätzen: mehr Frauen, eine bessere Einbindung junger Parteimitglieder U35 außerhalb des Jusos-Dunstkreises, mehr Nicht-Weiße-Deutsche, mehr Nicht-Akademiker_innen. Die ASF wird nach wie vor als Bad Bank benutzt, um „familienpolitische“ Themen wie Frauenquote (ähem. Das ist ein Wirtschaftsthema, kthxbye), Betreuungsgeld (Arbeitsmarktthema, kthxbye) oder auch gerne die generelle Frauenförderung (ein Führungsthema was bisher keine Führungskraft der Partei hinbekommen hat) in der Partei an sie auszulagern, damit die Chefs (sic) sich damit nicht beschäftigen müssen. Migrant_innen und nicht-weiße Deutsche müssen stets die Themen Integration und „kulturelle Diversität“ vertreten. Bei den Jusos werden Leitanträge zum Buko so akademisiert von akademischen Akademiker_innen geschrieben, dass sich Richard Dinges Precht seine elitären nichtwählenden Hände reibt, während die 16* überwiegend männlichen Jusovorsitzenden der Bundesländer weiter für sich proklamieren, dass sie dem feminisitischen Richtungsverband der SPD angehören.
Und weil das so gut funktioniert hat, bekommt die SPD hiermit einen 26% Stern von mir verliehen:
4. Netzwerke
Die SPD ist starr und bewegungsunfähig, so scheint es. Das Konzeptpapier von Dennis Morhardt und mir, welches im Rahmen des Mitgliederbegehrens letztes Jahr entstand, mit vielen tollen konkreten Handlungsvorschlägen und -strategien, liegt seit einem Jahr beim Parteivorstand. Gut, was haben wir auch erwartet, nachdem uns die Vertreter_innen im Termin zum Papier bereits sagten, das wäre ja alles interessant, aber… Dings! Das System SPD ist fest eingeschnürt in die Netzwerke homogener Gruppen, die sich in Habitus und Status mehr als ähneln. Gleich und gleich gesellt sich gern, und lässt sich dann auf schöne Positionen in Regierung oder Opposition oder Partei setzen. Und manchmal auch in Wahlkampfteams und Kampangenteams. Nach der Wahl dürfen gleich und gleich dann Analysen von fast gleich und auch gleich teilen um zu unterstreichen, dass sich was ändern muss und man dafür loyale, bekannte und verlässliche Leute braucht: ja, genau, gleich und gleich. So kann man sich wunderbar seine Rolle festigen und gleichzeitig auch noch die Partei runterwirtschaften. Zwei Fliegen mit einer Klappe!
Netzwerke sind natürlich eng mit Diversität verknüpft - und das ist genau auch der Grund, warum die SPD sich auf diesem Gebiet nicht zu bewegen scheint. Wenn mehr Frauen/Jüngere/Nicht-Weiße-Deutsche/XYZ an die Macht kommen sollen, müssen mehr weiße, alte Männer auf Posten verzichten. Und nun?
Die SPD kann sich nur verändern, wenn sie ihre Strukturen aufbricht, und das heißt auch, ihre Netzwerke zu entflechten. Außenstehende müssen wie eine Abrissbirne die alte Kruste zerschlagen - aber die Bagger muss immer noch der Hauseigentümer im Willy-Brandt-Haus bestellen. Eigentlich wäre Machtaufgabe der erste Schritt zum Machterhalt, denn wenn die Partei so weiter macht wie bisher - Partei-innen wie -außen - wird sie zukünftig vom Projekt 25+ sprechen, und nicht von Projekten 30+ oder gar 35+. Bleibt die Frage, wie klug und mutig ein Parteivorstand sich dem nun stellen kann. Die halbherzigen Versuche der Vergangenheit können sie jedenfalls gleich bleiben lassen: Wähler_innen und Genoss_innen gleichermaßen riechen den Braten drei Kilometer gegen den Wind und sind längst viel weiter.
Tausend und ein Versuch.
Die Veränderung muss zu 100% gewollt sein, und nicht nur zu 25,7%.
Bäm.
*anscheinend wurden ein paar Frauen in die LVs (z.B. RLP) gewählt. Wer was genaues weiß, korrigiere mich gerne :)
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