Gedacht

Mit der Gabel in die Pfanne

MerkelWahlarena

Merkel wird darauf angesprochen, dass sie ihre Werte über den Gleichheitsgrundsatz stelle.
Quelle: ARD Mediathek, Wahlarena

Vor ein paar Wochen geisterte ein Gespenst durch den deutschen Wahlkampf. „Teflon-Merkel“ flüsterten sie, „der kann man einfach nichts anhaben.“ Ich wollte schon länger was über Merkel und ihre vermeintliche Beschichtung schreiben, und die Wahlarena gestern in der ARD liefert einen wunderschönen Grund.

Merkel war nie die unangreifbare Teflon-Merkel, zu der sie vor allem die SPD gerne stilisiert hat. Merkel hat - auch wenn sie die oft wechselt - Positionen, vertritt Parteitagsbeschlüsse ihrer Partei und Koalition (ja, da war doch was!) und hat auch in ihrer Amtszeit Entscheidungen getroffen. Zum Beispiel nichts zu tun. Auch das ist eine Entscheidung - noch keinen Mindestlohn einzuführen, nicht mal den billigen Abklatsch, der sich gar nicht Mindestlohn schimpfen dürfte, den sie propagiert. Merkel ist unstet, schwer greifbar, rhetorisch geschickt und in Tonfall und Ansprache meist sehr beherrscht. Vor allem aber ist sie: beliebt. Daran konnte ein Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der zu Beginn aus Unvorsichtigkeit und/oder schlechter Beratung in so viele Fettnäpfchen stieg, dass er immer noch nicht alle Fettflecken aus seinen Krawatten rausbekommen hat, natürlich nicht viel ändern. Der Kontrast der Persönlichkeiten liegt ja nicht nur darin, wie sie auftreten, sondern vor allem darin, mit was sie verbunden werden: Merkel ist beliebt als Kanzlerin, die für Stabilität sorgt. Und die Deutsche(tm) an sich hat viel Angst bekommen durch subtile Panikmache von Regierung und (Boulevard)Presse der letzten Jahre, südeuropäische faule Schmarotzer Staaten könnten das tolle starke Deutschland in den Ruin treiben (siehe auch: AfD). Umso stärker die Sehnsucht nach Stabilität. Besser nichts tun, als es verschlimmern?

Genau diesen Mythos, alles sei so toll und Veränderung schlecht, gilt es anzukratzen. Er ist aber nicht mit Merkel als Person verbunden, sondern ergibt sich als Gemengelage aus latenter Zukunftsangst, prekären Arbeitsverhältnissen einerseits und bürgerlicher Besitzstandswahrung andererseits, konservativer Grundstimmung und klaffender Schere zwischen Arm und Reich.* Und Merkel selbst? Sie ist dieses Jahr schon einige Male ins Schleudern gekommen. Auf der NSA Pressekonferenz zum Beispiel. Wenn Peer Steinbrück sie im TV Duell zwingt, die Mautidee von Horst Seehofer abzulehnen. Oder wenn sie auf Menschen trifft, die nicht drei Wochen Trainingslager bei der JU hinter sich hatten.

Natürlich ist es entlarvend, wenn Stefan Raab, der vorher bei allen unkontrolliertes Augenrollen auslöste, im TV Duell am kritischsten und unerschrockensten nachhakte. (Ja genau, jetzt kommt der Teil mit der Medienkritik! Juchu!) Und es ist zwar lustig, aber auch etwas verstörend, wenn eine 16jährige Merkels Märchen in Sekundenschnelle bei der NSA Affäre entlarvt, etwas, an dem sich verschiedene Journalist_innen bisher vergeblich die Zähne ausbissen. Aber deswegen war das Format Wahlarena auch gut. Klar, Merkel kann auf jeden Einwand sagen „das klingt nach einem besonders schweren Fall“ und versprechen, sich alles persönlich anzugucken. Sie könnte andererseits auch einfach mal regieren und die dringend benötigten Veränderungen anstoßen, die die rot-grüne Regierung vor ihr angeblich verbockte, und die sie jetzt leider, naja sie weiß jetzt auch nicht richtig warum, aber leider in acht Jahren Regierungszeit irgendwie überhaupt nicht angehen konnte. Weil!

Wenn ein homosexueller Mann dann allerdings fragt, warum er und sein Partner keine Kinder adoptieren dürfen, und immer wieder nachhakt und Merkel dann plötzlich etwas von „Kindswohl“ faselt, dann ist das, ja, genau, das ist ihre Position. Homosexuelle Paare schaden dem Kindswohl. Das gestotterte „ich tu mich schwer damit“ ist die Schwachstelle in ihrer Argumentation, während ihr „ich mag jetzt manch einem etwas veraltet daher kommen“ sich genau an die klassische Unionswählerschicht wendet: die zwei Generationen vor ihr. Merkel ist eine von euch, liebe Rentner_innen, und ehrt noch die „alten Werte der Familie“! Das zackige „dann stellen Sie Ihr Familienbild der CDU und Ihre eigene Meinung aber über den Gleichheitsgrundsatz“ des Mannes war genau die Analyse, der es hier bedurfte. Ja. So regiert Merkel. Die CDU hat Werte. Merkel hat Positionen. Die sind nur meist stockkonservativ, veraltet, verstaubt, oder hier latent homophob (wenn unterstellt wird, einem Kind würde es schlechter gehen, nur weil ein gleichgeschlechtliches Paar es großzieht). Und dass so viele ihrer Positionen vom Verfassungsgericht kassiert werden ist kein Zufall oder „laissez faire“ von Merkel, sondern hart kalkuliertes Wertbild - das in eine moderne Gesellschaft so nicht mehr passt. Da kommen doch gleich auch Erinnerungen an Brüderle hoch, und den Artikel darüber, wie aus der Zeit gefallen er ist. Warum es so vielen schwer fällt, das alles klar an- und auszusprechen, bleibt fraglich.

Der Mythos der Teflon-Merkel hat erste Macken bekommen. Jetzt gilt es mit der Gabel in das schöne Trugbild der Regierung zu stechen, und die Beschichtung aus hohlem Leistungsgefasel und Schuldengespenst abzukratzen. Zwei Wochen vor der Wahl kann das noch klappen - aber selbst bei verlorener Wahl gilt es genau dort weiter zu machen. Ich bin mir sicher, dass vielen Deutschen nicht wirklich gefallen wird, was unter der schönen Beschichtung zum Vorschein kommt.

 

*Die gesellschaftliche Gesamtsituation und Stimmungslage würde noch mal einer ganz anderen Analyse bedürfen. In Teilen habe ich schon angefangen, das ist bei weitem aber nicht vollständig. Vielleicht ein anderes Mal.

Nachtrag: ich wollte unbedingt gerne dieses Bild verwenden, weil Merkel so schön aufgeflogen drein blickt. Falls ich damit schlimm Rechte verletze, suche ich mir ein freies Bild einer Pfanne. Einfach melden.

  • http://www.endorphenium.de marc

    danke für die analyse. das teflon-image hast du hier wunderbar als eines herausgearbeitet, was keines ist. ich hoffe, dass deine analyse viel aufmerksamkeit bekommt, denn die hat sie verdient. und vor allem ist dies ein grund immer wieder nachzufragen und jemanden mit sehr kritischen bemerkungen zu konfrontieren, wenn er alles „abtropfen“ lässt.

  • http://robinsurbanlifestories.wordpress.com Robin

    Mich hat in meinen Wochen in Spanien Merkels Image in anderen Ländern sehr überrascht und auch ernüchtert. Egal ob Franzose, Ire, Spanier, Italiener - alle haben große Hochachtung vor ihr und glauben, sie würde alles ganz prima machen. Wer auch immer bei der CDU für die Imagekampagne im Ausland zuständig ist, hat einen verdammt guten Job gemacht :/

    Und die Leute waren mehrheitlich eher links als konservativ.

    Ich werde nie verstehen, warum sie beliebt ist.

  • Ursus Maritimus

    Einer Bettpfanne?^^ Man spürt förmlich wie die Subtext-Krallen genüsslich durch die Haut furchen. Klasse!

  • Jan

    Großartigst. Auf dem Photo sieht eins vor allem gut, dass sie sich gerade was ausdenkt.

  • Pingback: links vom 10.09.2013 | endorphenium()

  • Robert

    Ich finde Deine Ursachenanalyse zum überwiegenden Teil gut, aber in meinen Augen vernachlässigst Du den Image-Aufbau. Das Image von Merkel wird nicht allein aus dem Konrad-Adenauer-Haus und dem Kanzleramt gesteuert, sondern auch durch Unterlassen von Berichterstattung von Presse. Ich weiß, man kommt mit einer solchen Behauptung gerne als Verschwörungstheoretiker oder dummer Medienbeschimpfer daher, möchte ich das begründen, auch wenn es vielleicht nach Deinem „Kommentar-Guide“ zu lang wird:
    Es geht besonders in den Internet-Ausgaben von Zeitungen ausschließlich um Klicks, sodass man feststellen muss, was in Druckform noch als renomiert gilt, im Netz nur Boulevard-Niveau hat. Deswegen wird wesentlich mehr und schneller skandalisiert und eine Pannen-SPD wird öfter angeklickt, als eine sachliche Auseinandersetzung. Dazu kommt aber ein ganz entscheidenter Punkt: Jeder will etwas vom Kuchen (die Klicks) abhaben, also wird es nicht nur 1x pro Zeitung geschrieben, sondern innerhalb eines halben Tages, teils von gleichen Autoren mehrmals, sodass man möglichst mehrere Pferde im Rennen hat. Der zweite entscheidende Punkt ist: Wenn man jetzt über Merkels ganze Gipfelreisen berichten will und damit Klicks sammeln will, kann ich nicht über die ganzen Wahlkampfpatzer berichten (soviele sind es nicht, aber für einen Sturm im Wasserglas pro Woche, würde es nach Massstäben des Pannen-Peer auch gehen).

    Du musst das nicht veröffentlichen, mir persönlich würde es reichen, wenn Du das in einem Gedankenspiel mal berücksichtigst.

    • Mina

      Wieso sollte ich es nicht veröffentlichen? Danke für den Input :)