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Sex, Tugend, und die Pille danach.

Quelle Favianna Rodriguez

Was haben Deutschland, Italien und Polen gemeinsam? Sie sind die einzigen drei Länder in Europa, in denen Notfallverhütung (die “Pille danach”) nicht rezeptfrei ist. Sie sind außerdem Länder, die eine ausgeprägte christliche Lobby haben - in Deutschland regiert sie sogar.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt seit einem Jahrzehnt, die Rezeptpflicht der Pille danach abzuschaffen. Bei der Notfall(!)Verhütung geht es schließlich um Stunden - sie muss möglichst schnell eingenommen werden, um wirksam zu sein. Deutschland widersetzt sich dieser Empfehlung hartnäckig, und die Regierung lehnte zwei Anträge der SPD und Linken, dies zu ändern, diese Woche ab. Wie schlimm die Situation für Frauen in Deutschland wirklich ist, wenn sie in die Lage kommen, die Pille danach zu benötigen, könnt ihr hier im Text und den Kommentaren nachlesen. Oder einfach mal mit Frauen sprechen, die schon mal darauf angewiesen waren.

Scham.

Das ist das Wort, dass es wohl am besten trifft. Fast alle Frauen berichten von beschämenden Erfahrungen. Selbst Frauen, die vergewaltigt worden sind, denen ein Kondom riss (das mag tatsächlich vorkommen, no kidding) oder sonst wie nach den deutschen Moralvorstellungen “unschuldig” die Pille danach benötigen, werden in Blicken, Worten und Taten beschämt. Wo rührt das her? Woher kommt dieser Hang zur Tugend, diese Wahrnehmung, Frauen, die eine Pille danach bräuchten, wären unverantwortlich? Und, selbst wenn sie das alle wären - woher kommt die Annahme, auch nur irgendein_e Politiker_in, Ärzt_in, Apotheker_in hätte das Recht, darüber zu urteilen?

Frauen und Sex, ja, okay. Aber bitte verhüten. Und ohne Folgen. Schon gar keine ungewollten. Schön leise. Und bitte liebe Frauen, habt ja keinen Spaß. Sex dürft ihr nicht häufig haben, nur mit einem wiederkehrenden Partner und nur dann mit einer Frau, wenn mindestens ein Mann zu seiner Unterhaltung zuguckt. Frauen, die ihren Körper und Sex genießen, ja wo kämen wir denn da hin! Frauen, ihr müsst dabei stets alle Folgen im Blick haben, habt ihr die Pille auch schön genommen und dem Mann das Kondom gekauft? Ihr dürft euch nicht gehen lassen. Perfekte Tugend, Engel und Hure, aber nur so lange die Hure hinter geschlossenen Türen bleibt und sich ja nicht erdreistet, eine Notfallleistung einzufordern.

Ich habe die Schnauze voll, dass mir eine Gesellschaft meinen Körper, meine Sexualität bestimmen will. Denn neben all den fadenscheinigen Argumenten um Nebenwirkungen (nicht schlimmer als die Regelschmerzen und -begleitungen die viele Frauen monatlich haben), Missbrauch (#wiesmarties), und inkompetente Apotheker_innen die nicht beraten können (ernsthaft?!), ist es das, worum es geht: sexuelle Selbstbestimmung.

Ich schlafe mit wem ich will.

Wie ich will.

Wann ich will.

Wo ich will.

Und sollte ich tatsächlich in die beschissene Lage kommen, Notfallverhütung zu benötigen, hat niemand, absolut niemand, das Recht, über mich zu urteilen.

Ihr seid nicht besser als ich. Ihr arbeitet, ihr lebt, ihr fickt, ihr habt Spaß. Ihr seid genauso sehr und genauso wenig eine Hure, Schlampe, Fotze, Frau, Mensch wie ich.

Ihr macht mir keine Angst. Und ihr werdet mich nie wieder beschämen.

Veröffentlicht von

Die Frau für Dingens und Gedöns. Und was sonst noch so anfällt.

3 Kommentare

  1. “Frauen [...] denen ein Kondom riss”

    Ich überlege mir gerade, ob diese Formulierung nicht Teil des Problems ist. Frauen reißt kein Kondom, Männern reißt ein Kondom. Oder einem Mann und einer Frau, aber jedenfalls keiner Frau alleine. Und trotzdem sind es die Frauen, die das dann ausbügeln müssen (wobei es sicherlich Paare gibt, die dann zusammen ins Krankenhaus gehen).

    Jedenfalls stehen dann oft junge Frauen alleine da, während vorwiegend alte Männer bestimmen, dass dieses “Problem”* sich nicht einfach lösen lässt, sondern komplizierter gemacht wird, als es eigentlich ist. Wie viele andere Themen auch eines, bei denen Tischplatte und Vorderkopf sich anfreunden und man sich fragt, ob das Jahr 2013 vielleicht doch noch im vergangenen Jahrtausend rumhängt.

    * Der Begriff “Problem” passt mir im Fall der Pille danach nicht wirklich, denn eigentlich sollte es kein Problem sondern Normalität sein. Also nicht in dem Sinne, dass man sonstige Verhütungsmethoden gezielt vernachlässigt (wurde ja im Artikel schon gesagt, dass genau das überhaupt nicht der Fall sein muss, Pech haben kann jeder), aber dass es eben vollkommen normal ist, wenn man doch mal auf nachträgliche Verhütung angewiesen ist.

    • Ja, das mit dem reißenden Kondom ist so ne Sache. Eigentlich können die ja nicht wirklich reißen (wobei, Materialfehler hab ich auch schon erlebt), aber sag das mal ner 17jährigen, die mit ihren Fingernägeln irgendwie doof dran kommt und dann Panik hat, schwanger zu werden. Und ja, ich finde das gut, dass du das noch mal betonst. Es ist Sache von beiden. :)

  2. Es muss ja nicht mal gerissen sein. Es kann ja auch
    hängengeblieben sein. Selbst wenn die Frau am morgen danach
    aufwacht und sich aufgrund der Party nicht mehr 100% dran erinnern
    kann ist es imho nicht unverantwortlich. (Sonst müsste Aspirin
    gegen Kater auch vom Arzt verordnet werden). Ich finde es ist
    völlig egal, was passiert ist. Wenn eine Frau eine Pille danach
    benötigt, ist das so. Fertig. Fragt ja auch keiner nach, wenn ich
    Kopfschmerztabletten kaufe. In Österreich ist es übrigens so, dass
    die Frau selber in die Apotheke gehen und die Pille danach kaufen
    muss. Der Freund/Mann darf das nicht holen

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