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Genosse, alt, männlich, im Ortsverein, sucht:

Vor ein paar Wochen erhielt ich eine Email von einem Mann, der mich fragte, was konkret in Ortsvereinen getan werden könnte, um mehr (junge) Frauen für Politik zu begeistern. Ich hab in der Vergangenheit ja schon ein paar Mal über meine Wahrnehmung der SPD geschrieben. Gleichzeitig beendete ich gestern “Lean In” von Sheryl Sandberg, ein wirklich gut geschriebenes - und überhaupt nicht so “vorschreibendes” wie von anderen angekündigtes - Buch für Leadership und Management. Man mag es ja nicht glauben, aber in meinem Dreiviertel-Jahrzehnte langen Schlenker in Unternehmen habe ich mich viel mit Strategie, Controlling, Kommunikation und - ja - Organisationstheorie befasst. Umso spannender war es für mich, die Frage zu beantworten zu versuchen. Denn klar, dass sich was ändern muss ist schnell gesagt, aber was denn ganz konkret?

Hier also ein paar Ideen und Vorschläge.

1.) Ein angenehmes Klima schaffen.
Das heißt darauf achten, dass Frauen nicht direkt unterbrochen werden - generell eine gute Diskussionskultur etablieren, sie sich wohl fühlen. Nicht immer so sprechen, als wäre die eigene Aussage die in Stein gemeißelte Weisheit und einzig wahre Wahrheit (auch auf Twitter beliebt). Auch wenn es in der kleinen Männerrunde lustig ist und die Frauen brav mit lachen: anzügliche Witze unterbinden. In einem Umfeld, in dem eben noch über Frauen gelacht wurde, ist die Hemmschwelle dann doch größer, etwas zu sagen - und die Frauen, denen es nichts (mehr) ausmacht haben Sexismus meist schon so verinnerlicht, dass sie sich eher mit den anderen Männern solidarisieren, als mit den (neuen) Frauen. Also: ein bisschen filtern. Frauen ohne Druck mal nach Feedback oder Meinung fragen. Und sie, wenn man mit den Genossen oder Kollegen (beides: sic!) noch einen trinken geht, nicht ausschließen (und vielleicht nicht immer die schäbbige Kneipe wählen, wo die Frau schon beim Gedanken an den Nach-Hause-Weg schaudert).

2. Flexible aber planbare Zeiten etablieren.
Gerade berufstätige Frauen oder auch einfach Frauen mit Kindern sind auf planbare Termine angewiesen. Wenige Tage - oder Stunden - vorher einen Termin zu vereinbaren, ist kontraproduktiv. Wenn möglich, könnte in den Ortsvereinen - oder auch auf der Arbeit - darauf geachtet werden, Zeiten zu finden, an denen sowohl Berufstätige und/oder Eltern teilnehmen können, und zu denen sich zur Not Kinderbetreuung finden lässt. Oder Kinderbetreuung anbieten: was spricht dagegen, die Genossin zu ermuntern, ihr(e) Kind(er) einfach mal mitzubringen, ein paar Spielzeuge in der Geschäftsstelle zur Verfügung zu stellen, und ähnliches?

3. Relevante Themen behandeln.
Natürlich hat jede_r viel mehr Lust, sich an irgendwas zu beteiligen, wenn sie/er auch die persönliche Relevanz herstellen kann. Umso mehr natürlich betrifft das auch Vernetzungen, die nicht in der Sitzung per se stattfinden, sondern über Smalltalk. Es klingt vielleicht blöd, aber wie oft habe ich mir schon gewünscht, mich für Autos zu interessieren oder die Tabelle der Bundesliga zu lernen, um wenigstens kurze Einwürfe machen zu können. Ein bisschen Reflektion schadet da niemanden. Und: das Programm der SPD bietet genug Luft, um Themen zu finden, die Frauen und Männer gleichermaßen interessieren.

4. Fragen hilft.
Ich fand es total faszinierend, das im Buch von Sandberg zu lesen, was ich vor kurzem erst mit einer Freundin besprach: Frauen wollen gefragt werden. (Gnah. Generalisierungen, ich hasse das ja bei Geschlechtern. Bitte alle Generalisierungen so lesen: in meiner persönlichen Erfahrung passiert dies Frauen öfter oder eher als Männern, ist aber sonst keine Regel, die ich hier aufstellen will oder sonstiges). In meiner Email formulierte ich das so: Frauen auch mal ansprechen, ob sie Lust haben, ein Amt zu übernehmen. Oft ist es so, dass Frauen gefragt werden wollen, darauf warten, dass ihnen das jemand anvertraut, während Männer ganz offensiv da ran gehen. Weiterhin kommen Frauen auch schnell in einen Modus, dass, wenn sie das Gefühl haben unerwünscht zu sein, sie umso mehr ausstrahlen, dass sie gar nicht in der Partei mitarbeiten wollen. Das heißt, wenn da eine junge, gute, halbwegs interessierte Frau ist, die dann aber plötzlich ausstrahlt, dass sie gar nicht will, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie nicht das Gefühl hat erwünscht zu sein oder sich nicht richtig in der Organisation wohl fühlt.

Vielleicht habt ihr noch Ideen oder Anmerkungen, und bei der Gelegenheit - weil, f-yeah Genderthema - empfehle ich euch auch noch mal meinen brandneuen Kommentarguide.

Veröffentlicht von

Die Frau für Dingens und Gedöns. Und was sonst noch so anfällt.

6 Kommentare

  1. »(Gnah. Generalisierungen, ich hasse das ja bei Geschlechtern. Bitte alle Generalisierungen so lesen: in meiner persönlichen Erfahrung passiert dies Frauen öfter oder eher als Männern, ist aber sonst keine Regel, die ich hier aufstellen will oder sonstiges).«

    Du sprichst es da zwar an, aber diesen Aspekt hätte ich nach ganz oben gestellt. Ich denke nicht, dass wir ein “Frauen”-Problem haben. Wir haben das Problem auf einen bestimmt Typ von Menschen abschreckend zu wirken. Auf Menschen die keine Lust auf endloses Gelaber, Machtkämpfe um der Machtposition wegen oder Selbstdarstellung haben.

    Diese Haltungen bringen nun sozialisierungsbedingt eher Frauen mit, aber auch viele Männer stößt dieses Verhalten ab.

    Wenn wir das Bewusstsein für diese Kernprobleme hätten, würden auch wieder mehr Frauen und Männer (quasi Menschen) Lust auf (partei-)politische Arbeit haben.

    Ich glaube, indem wir aus diesem Problem ein “Frauen”-Problem machen, schießen wir uns ins eigene Knie, weil wir das Denken in Geschlechterbahnen pressen.

    btw.: Schöner Blog. :)

    • Nein, Frauen - ähnlich wie Mitglieder anderer sozialer Herkunft - haben da noch mal eine besonders schwierige Stellung. Bei dem Zitat ging es um Gendernormen, das ist aber loszulösen von dem strukturellen Problem, das die SPD mit Frauen hat.

  2. (Ich habe nicht alle deine Beiträge hier gelesen, wenn du das also irgendwo klarstellst, entschuldige die folgende Nachfrage:)

    Vertrittst du einen Differenzfeminismus?

    • Ich weiß nicht, was du damit meinst. Kannst du das erläutern?
      (und was hat das mit der objektiven, nicht nur von mir festgestellten Problematik der SPD zu tun?)

      • Bist du der Überzeugung, dass es zwei biologische Geschlechter gibt, mit spezifisch männlichen und weiblichen Eigenschaften, ein Mensch also entweder Mann oder Frau ist? Daraus folgend, bist du der Ansicht, dass das männliche das weibliche Geschlecht dominiert bzw. ihm gegenüber in einer gesellschaftlichen Vorteilsposition ist und, dass dieser Unterschied ausgeglichen werden sollte, sprich, Frauen den Männern (im Sinne der Geschlechter) gleichgestellt werden sollten?

        Ich frage, weil es entscheidend dafür ist, welches Problem die SPD tatsächlich hat. Du sagst es sei “objektiv”, also im Prinzip eindeutig, welches Problem die SPD hat. Du sagst, die SPD hat ein “Frauen”-Problem.

        Das möchte ich bezweifeln.

        Es ist es keineswegs objektiv, welches Problem die SPD hat, die Frage hängt davon ab, mit welchem Blick man auf die Situation schaut.
        Verkürzt gesprochen, schaust du (scheinbar) mit den Kategorien “Mann - Frau” auf die Situation. Dein “empirisches” Vorgehen (wenn man so will) ist dann, zu zählen, wieviele Mitglieder männlich und wieviele Mitglieder weiblich sind. Du kommst zu dem Ergebnis, die Männer überwiegen eindeutig die Frauen, woraus du schlussfolgerst, die SPD hat ein Frauen-Problem.

        Ich für meinen Teil betrachte die Situation nicht aus der Geschlechter-Perspektive, sondern aus Perspektive von Charaktereigenschaften. Verkürzt gesprochen, betrachte ich die Situation in den Kategorien “kooperativ - (macht-)egoistisch[1]“. Ich zähle also die Menschen (nicht die Geschlechter) entsprechend meiner Kategorien und komme zu dem Ergebnis, machtegoistische Charaktere überwiegen eindeutig kooperative Charaktere.

        Meine Schlussfolgerung ist, die SPD muss offener gegenüber kooperativem Verhalten werden, damit kooperativere Charaktere sich bei uns wohl fühlen.

        (Ich würde behaupten, meine Betrachtung ist ebenso rational, wie deine. Sozusagen, genauso “objektiv”… ;) )

        Was hat das ganze mit deinem Blog-Beitrag zu tun?
        Wie ich in meiner ersten Antwort andeutete, ist es aus meiner Sicht nicht so, dass die SPD ein “Frauen”-Problem hat, sondern vielmehr ein Problem mit kooperativen Menschen. Wenn man das ganze aber als “Frauen”-Problem betrachtet, lenkt es die Lösungsansätze in genau die Richtung, dann gibt es so Vorschläge wie: “Wir müssen uns mehr mit Frauen-Themen beschäftigen.”, “Wir müssen uns mehr nach den Bedürfnissen von Frauen richten.”, etc.

        Ich halte beides für Quatsch, weil es keine “Frauen-Themen” gibt, es gibt nur Themen, die gesellschaftlich “den Frauen” zugewiesen wurden, wie Kindererziehung, etc. … Und diese Dinge aus der Perspektive eines “Frauen-Themas” anzugehen, wird nicht das grundlegende Problem beheben, nämlich, dass “Männer” und “Frauen” gesellschaftlich in bestimmte Schubladen gesteckt werden…

        Ich habe aufgrund der Passage, die ich in der ersten Antwort zitierte habe, gedacht, du siehst das wie ich. Vielleicht habe ich mich geirrt und dich missverstanden.

        Sei es, wie es sei.

        Schönen Sonntag! :)

        [1] ein sehr hartes Wort ist, aber mir fällt spontan kein besseres ein

        • Ohne jetzt auf deine ganzen Fragen im Detail einzugehen verweise ich dich einfach auf ein dazu passendes Paper zu genau diesem Thema. Falls nach der Lektüre noch Fragen bestehen, kannst du mir gerne mailen - ich glaube für eine Diskussion hier im Kommentarbereich wird das alles zu lang.

          http://momentum-quarterly.org/MQV2N2/messmer-banaszczuk.pdf

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