Gedacht

„Wir brauchen ein Umdenken.“

Gestern war ich bei der SPD Bundestagsfraktion zur Diskussionsrunde eingeladen. Thema: Konsequenzen aus der Sexisumsdebatte. Die Runde war gut besetzt, wir konnten konstruktiv diskutieren, es gab keine Hardliner, und auch das reflexartige „what about teh menz“ musste ich nicht einmal hören.

Während der Debatte wurden viele Themen angesprochen und angerissen. Einig waren wir uns relativ schnell darin, dass Sexismus ein gesellschaftliches und strukturelles Problem ist, welches sich nur durch eine Mischung aus institutionellen und individuellen Maßnahmen lösen lässt. Sprich: jede_r fängt bei sich selbst an, nimmt andere in die Verantwortung, und der Staat muss Lösungen entwickeln, wo Graswurzelbewegungen und kultureller Wandel zu langsam von statten gehen. Wichtig war meiner Meinung nach auch zu betonen, dass wir ohne die Einbindung von Menschen in Machtpositionen - meist Männer - nicht weit kommen werden. Wir brauchen Signale und Multiplikatoren, die dieses Thema jetzt dorthin tragen, wo es gerne ignoriert wird: in die Chefetagen (sic) und Parteizentralen, in die Hochschulen und Verwaltungen.

Ein paar konkrete Vorschläge gab es dann doch, im Folgenden hier ein Versuch der Aufarbeitung:

1. Die Quote
Ein gutes Instrument, wie ich finde, um institutionell das zu verankern, was Unternehmen freiwillig nicht schaffen (wollen): einen ausgeglicherenen Anteil von Frauen und Männern in Aufsichtsräten. Die oft monierten „aber in Branche XYZ gibt es so wenige Frauen“ Argumente ziehen dahingehend ja auch nicht: denn gerade in Aufsichtsräten sitzen oft Branchenfremde Personen, sprich, Frauen können leicht aus anderen Feldern rekrutiert werden. Nachteil bei einer Quote nur für Aufsichtsräte: sie betrifft nicht unmittelbar das operative, mittlere Management. Dennoch wird eine Quote genug Bewegung anstoßen können. Zur Quote habe ich hier und hier schon mal was geschrieben.

2. Mehr Verantwortung
Bei einer vollkommen unrepräsentativen Umfrage auf Twitter fragte ich, wer Konsequenzen aus der Debatte gezogen hat, und wenn ja, was für welche. Viele entgegneten mir, dass sie sensibler als Männer auf ihre Worte und Taten achten, viele Frauen lassen sich weniger gefallen. Das freut mich so unglaublich. Denn genauso müssen wir weiter machen: nichts durchgehen lassen, weiter standhaft bleiben, uns und andere ermahnen. Kurz: die Graswurzelbewegung nicht einschlafen lassen, und weiter alle mitnehmen, die mit kommen wollen (das darf gerne als Einladung „des Feminismus (TM)“ an „die Männer (TM)“ verstanden werden, mit auf die Reise zu kommen). Über kurz oder lang werden wir dennoch „handfestere“ Maßnahmen brauchen, um die alten, verkrusteten Machtstrukturen aufzubrechen.

3. Chancengleichheit Pflicht-Ausbildung für Lehrkräfte und Pädagog_innen
Dies würde nicht nur Geschlechterverhältnisse umfassen, sondern auch Chancengleichheit in Bezug auf Migrationshintergrund, sozialer Herkunft, Aussehen (Stichwort Lookism), sexueller Orientierung, etc. Warum angehende Lehrer_innen und Professor_innen das nicht pflichtgemäß längst machen müssen, wenn sie doch die Stellschrauben für so viele Lebensläufe setzen, ist mir unklar. In Zeiten, wo Ärztinnen-Kinder aufs Gymnasium durchgewunken werden und Kinder von Hilfsarbeitern selbst bei besseren Noten nur einen Hauptschulempfehlung bekommen, muss ein Seminar in Chancengleichheit Pflicht sein. Wir müssen mehr sensibilisieren und alle Lehrenden zur Reflektion befähigen. Nicht seit gestern ist bekannt, dass Geschlechterverhältnisse und entsprechende Sozialisierungen im Kindes- und Schulalter beginnen und geprägt werden und etwas mehr Bewusstsein von Seiten der Pädagog_innen kann sicher nicht schaden.

4. Werbung eingrenzen
Wem das Ausmaß von Werbung an Kinder auf deren Entwicklung fürs Leben nicht ganz klar ist, dem sei dieses Video hier empfohlen:

Aber da hört es ja nicht auf - Werbung wird immer wieder dazu benutzt, um Geschlechterrollen klar zu stellen - und Frauen ganz nebenbei als Beilagen und Objekte zu degradieren. Ansätze wären hier: Werbung an unter 12jährige Kinder zu verbieten, wie es bspw. in Schweden und Norwegen schon üblich ist (Länder, die immer gerne für ihre Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Beruf und Familie gelobt werden) und den Werberat bei sexistischen Werbebeiträge stärker in die Pflicht zu nehmen.

5. Umdenken sowie „Naming & Shaming“
Ein systematisches Umdenken von Schlüsselfiguren, bspw. durch Seminare, Workshops, Coaching, hin zu mehr Verständnis und Bewusstsein. Fände ich super. Außerdem wurde vorgeschlagen von Sattelberger: Täter sollen offensiver zur Schau gestellt und verurteilt werden (Naming & Shaming). Sprich: bei einem Kubicki, der keine Einzeltermine mehr mit Journalistinnen wahrnehmen möchte, müssen lautstark Chefredakteure und Parteivorsitzende die Maßnahme als das verurteilen, was sie ist: Bullshit. Ziel des von Sattelberger vorgeschlagene „Naming & Shaming“ soll sein, eine Null-Toleranz-Politik gegenüber sexistischen Auswüchsen zu fahren, und gegenläufige Handelnde zu bestrafen - eben durch moralische Verurteilung. Wer nicht mehr mit seinen Maschen durchkommt, muss umdenken - so der Grundgedanke. Von allen Ideen glaube ich, dass diese die am schwersten umzusetzende ist, denn dafür brauchen wir mutige männliche Early Adopter aus der wirtschaftlichen und politischen Elite, und die sind für mich momentan kaum in Sicht.

Zuletzt bleibt: die Ansätze sind alle nicht neu, sie sind schnell ausfasernd und komplex, genauso wie das Problem, das sie bekämpfen sollen. Was bleibt ist die Hoffnung, mit einigem Schwung jetzt ein paar Probleme gezielter anzugehen. Die Politik ist nun in der Verantwortung - und es ist unser aller Pflicht, sie immer wieder darauf hinzuweisen.

Edit: Einige von euch haben mich auf die Problematik der Wörter Reedukation und Umerziehung hingewiesen. Nachdem ich noch mal drüber geschlafen hab, finde ich, dass ich die Wörter selbst im Zitat ja nicht so unreflektiert übernehmen muss. Ich ändere sie also in „Umdenken“ - das passt immer noch zur originären Intention, so wie ich das Gespräch verstanden habe, und ist unbefangener. Bitte verzeiht die originäre Wortwahl.

  • Honey Badger

    Ich finde ja die Vorschläge durchaus gut. Die Frage ist, wie viel gesellschaftliche Akzeptanz für solche Ideen vorhanden ist oder ob man versuchen müsste, alles gegen einen großen Proteststurm durchzusetzen (was immer ein Problem ist, da man so politischen „Kredit“ verspielt und diffamiert wird). Im Moment geht es ja immer noch darum, Leute davon zu überzeugen, dass es bei dem Problem nicht um die „Befindlichkeiten Einzelner“ geht… *seufz*

    • MRetsum

      Ihr solltet Euch mal hören:
      - Umerziehen,
      - verbieten,
      - Null-Toleranz-Politik,
      - handfestere Maßnahmen,
      - offensiv zur Schau stellen und verurteilen.

      Schöne neue (weibliche) Welt!

      • Mina

        Alle Wörter im Übrigen in Anführungszeichen, sind Zitate, nicht unbedingt von Frauen (Der Titel stammt zB von Sattelberger, steht auch im Text). Über das Konzept kann man streiten, aber dass Diskriminierung moralische und gesellschaftliche Konsequenzen hat, akzeptieren wir bei Rassismus, warum dieser Reflex bei Geschlechterdiskriminierung?
        Ach, und zu dem „ihr solltet euch mal hören!“ - ihr solltet euch mal lesen, was ich hier für Kommentare bekomme, allein für Worte wie Quote oder Feminismus. Schöne, alte, neue, partriarchalische Welt!

        • MRetsum

          Das mit den Quellenangaben müssen wir aber noch üben! Das ist heutzutage fast wichtiger als der Inhalt ;-)

          Von wem ist dieser Text? :

          „Eine “Umerziehung” von Schlüsselfiguren, hin zu mehr Verständnis und Bewusstsein. Fände ich super. Außerdem: Täter sollen offensiver zur Schau gestellt und verurteilt werden“

          • Mina

            Der zweite Teil bezieht sich auf das Naming & Shaming, dem zweiten Vorschlag von Sattelberger. Worum geht es jetzt eigentlich? Ich bewerte die Idee zur Reedukation („Umerziehung“ ist btw mit Grund in Anführungsstrichen, finde den Begriff selbst problematisch), die Menschen zu einem anderen Bewusstsein zu bringen, nach wie vor gut. Vielleicht etwas missverständlich ausgedrückt, wenn du eine konkrete Frage hast, kann ich sie dir gerne beantworten. Was das mit Quellen zu tun hat, ach, egal.

        • Honey Badger

          Da ist er schon wieder, der geradezu reflexhafte Proteststurm, der bei Worten wie „Frauenquote“ und „Reedukation“ immer auftaucht.

          Ich habe den Vergleich mit Rassismus übrigens in Diskussionen auch schon oft als Argument gebraucht, da bei Rassismus der moralische Kompass zumindest hier in Mitteleuropa etwas besser zu funktionieren scheint als bei Sexismus/Diskriminierung von Frauen.

          Die Antwort, die ich dann oft bekam, war: „Was willst du, Frauen sind doch keine Schwarzen.“ Da führte ich zum Beispiel eine Diskussion mit einem Foristen auf SPON, der dann erklärte, dass das diskriminierende Verhalten gegenüber Frauen ja eigentlich bloß so etwas wie „artgerechte Haltung“ sei, da Frauen ja biologisch anders seien, während Schwarze keinen biologischen Unterschied zu Weißen aufwiesen und damit diskriminierendes Verhalten gegenüber Schwarzen nicht gerechtfertigt sei.

          Mal ganz abgesehen davon, dass es schwarze Frauen gibt, die sich auch schon darüber beklagt haben, dass für ihre Diskriminierung als Schwarze mehr Verständnis aufgebracht wird als für ihre Diskriminierung als Frau - ist das einfach nur dumm, die Parallele nicht zu sehen.

          Trotzdem wird sie nicht gesehen.

          Am Beispiel Rassismus kann man sehr gut erkennen, dass für ein Diskriminierungsproblem ein öffentliches Bewusstsein geschaffen werden kann, indem man die Leute ausreichend darüber informiert. Wir sehen auch an diesem Beispiel, dass das Bewusstsein beim Thema Sexismus viel weniger stark ausgeprägt ist. Und leider ist erkennbar, dass viele Sexismus gar nicht wahrnehmen WOLLEN oder aber sogar richtig finden, denn „Frauen sind doch keine Schwarzen.“

  • http://rotstehtunsgut.de Christian S.

    „Werbung an unter 12jährige Kinder zu verbieten, wie es bspw. in Schweden und Norwegen schon üblich ist“

    Die skandinavischen Staaten mit ihrem Volksheim-Gedanken, der massiven Verbotsmentalität (Alkoholsteuer, Fettsteuer, etc. pp.) und der ethnisch homogenen Gesellschaft sind für mich wirklich nicht vorbildfähig.

    • Mina

      Und konkret zu Werbung?

      • http://rotstehtunsgut.de Christian S.

        Auch nicht.

  • http://rotstehtunsgut.de Christian S.

    „Umerziehung“ geht natürlich gar nicht. Furchtbare Idee.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Umerziehung

    • Mina

      Das Wort war in meinem Verständnis von Sattelberger eher provokativ gemeint, weiß aber was du meinst.

  • Fibs Freitag

    diese vorschläge sind nicht neu. sie stets zu wiederholen, ist ein wirksames marketing-instrument, der sache jedoch nicht zweckdienlich. im gegenteil! eine frauenquote verzerrt den wettbewerb und gefährdet die marktwirtschaft. auch andere soziale bewegungen kämpfen um mehr rechte, gestehen sich aber auch selbst ein, in einer demokratie weitaus besser zu existieren, als in einer diktatur. das schlüsselwort ist eine „soziale marktwirtschaft“, in der demokratische und wirtschaftliche interessen zusammengehen.

    • Mina

      Wie soll eine Quote den Wettbewerb verzerren? Marktwirtschaft gefährden?
      Ich frag jetzt mal nach, behalte mir aber vor „Quote ist das Böse!“ Kommentare ohne Diskussionsbasis zu löschen, aus Gefahr vor Trollen. Im Übrigen war ich vor zwei Jahren selbst noch harte Gegnerin der Quote - habe aber verstanden, dass es ohne nicht geht.

      • Fibs Freitag

        ganz einfach. jeder staatliche eingriff in die weltwirtschaft verzerrt den wettbewerb. mit einem weiteren, staatlichem instrument, der frauenquote, würden missnutzern dessen tür und tor geöffnet. der markt soll sich selbst regeln!
        meine persönliche meinung ist, wir haben längst gleichberechtigung erreicht! für männer ist es ebenfalls sehr schwer, sich „nach oben“ zu kämpfen. die bessere idee siegt! ob die nun von einer frau kommt, oder einem mann, ist der börse egal.

        • Mina

          Ach, da ist wieder dieses „Argument“, dass es keine guten Frauen für Spitzenpositionen gäbe, und nur unfähige dort durch eine Quote hinkommen würden. Naja. U tried.

      • Fibs Freitag

        nachtrag: falls die frauenquote (und weitere feministische forderungen) in DAX-unternehmen staatlich durchgesetzt wird, hat das konkrete konsequenzen! wie der politiker, der nicht mehr mit journalistinnen im auto fahren will. genauso werden wir uns genauer überlegen, mit einer vertreterin geschäfte abzuschliessen.
        du bist in deinen äusserungen sehr persönlich, was der geschäftssache sehr abträglich ist. um auch mal „persönlich“ zu werden: ich bin einer der internet-startup-millionäre und mache mir sehr grosse sorgen um mein heimatland. falls die frauenquote durchkommt, werden wir alle deutsche aktien verkaufen. sorry! wie in skandinavien, island und irland. ich will keine „weiberwirtschaft“!

        • Mina

          Natürlich hat das konkrete Konsequenzen. Sonst würde man das ja kaum machen.