tl;dr
Die Piraten haben großes bisher ungenutztes Potenzial in den Bereichen Gleichstellung, Familie, Bildung. Das sollten sie schleunigst anfangen auszunutzen.
Ich kann es nicht glauben, aber ich schreibe schon wieder einen Text über die Piratenpartei.
Am 6. Oktober war das Frauenbarcamp in Berlin (zu welchem ein eigener Lobartikel gehören müsste, denn das war die wundervollste angenehmste konstruktivste Atmosphäre eines Workshops/Tagung/Barcamps die ich jemals miterleben durfte; und jeder einzelne Vortrag war für sich genommen interessant und toll - ganz ganz großes Kompliment, und ich freue mich sehr auf nächstes Jahr), und in einer Session hat Laura Dornheim etwas zur Piratenpartei und Feminismus erzählt, und sich das Feedback der Runde angehört. Während wir da so saßen und über Frauen und Politik allgemein und Feminist_innen und Piratenpartei konkret sprachen, dachte ich irgendwann: ja, das ist es. Die Piratenpartei muss Familien-, Gleichstellungs- und Bildungspartei werden.
HÄÄÄÄÄÄ?!
Zugegeben, es liegt nicht so direkt auf der Hand, vor allem, wenn man sich dem Image verschreibt, dass die Piraten immer noch und immer wieder aufgedrückt bekommen, und welches in Teilen sicher auch zutreffen mag (eben so, wie es nicht von der Hand zu weisen ist, dass ein Großteil der SPD aus einer sehr viel älteren Generation stammt). Aber es gibt sehr viel Potential. Sehr viel. Meine Begründung:
1. Die Piraten haben das Personal
Eine kurze Diskussion innerhalb der SPD zu Frauenplena, und ich wünschte mir, die SPD wäre was Geschlechterthematiken und Gleichstellungsproblematiken angeht, auch nur annähernd so weit wie viele Pirat_innen. Ja, klar, es gibt dort so Leute die dann “Tittenbonus” in die Welt hinaus schreien, aber was es bei den Piraten noch viel mehr gibt: das Korrektiv der Masse. Feminismus, in seinen Strukturen, in seinen Inhalten, im allgemeinen Verständnis, ist dort viel besser angesiedelt als in allen anderen Parteien. Dort sitzen Leute, die sich mit der Thematik wirklich auseinander gesetzt haben, und nicht müde werden, immer wieder auf Benachteiligungen, sexistische Kackscheiße usw. usf. hinzuweisen. Und dies sind keineswegs die unbekannten kleinen Dorfpiraten aus Brandenburg, sondern Menschen, die sich ein Standing erarbeitet haben und so einen Shitstorm vom Tittenbonus zum Penenbonus umdrehen. Der ganze Gedanke “wie will ich leben” ist natürlich nicht nur einer, der sich mit Gleichstellung beschäftigt, nein: als nächstes käme da die Familie und der ganze Bereich der Bildung. Wenn eine Partei die Summe der Fähigkeiten ihrer Mitglieder ist, dann liegt nichts näher, als sich mit Gleichstellung zu beschäftigen. Denn…
2. Die Inhalte sind noch nicht (prominent) besetzt
Ja, natürlich gibt es schon Ansätze zu Gleichstellung, und ich meine hier nicht nur Geschlechterthematiken. Es geht um Inklusion, um Diskriminierung, um Benachteiligung - die Diskussion, die die Piraten zu rechten Spinnern und sonstigen Arschlöchern schmerzhaft führen mussten während wir alle genüsslich zusahen, die steht uns eigentlich auch noch bevor. Immer wieder. Denn solche Themen bespricht man nicht einmal, und dann ist die Sache gegessen. Man muss sich immer wieder mit Sexismus, Rassismus, und allen anderen -ismen auseinander setzen. Das sehe ich so bisher in den anderen Parteien noch nicht. Die Piraten haben ihre Position dazu jetzt gefunden, der nächste Schritt ist, diese programmatisch auch zu fordern und durchzusetzen. Ich kenne zugegeben das Programm der Piraten nur ansatzweise, aber was mich bisher schon beeindruckt hat (Beispiele): Gleichstellung von psychischen und physischen Erkrankungen in der Gesellschaft oder der Ansatz Europaschulen nicht nur für Französisch oder Englisch, sondern auch Türkisch, Russisch usw zu machen. Oder ganz einfach der Blogeintrag von Christohper Lauer. Das ist übrigens so ein Text, den hätte ich von einem SPD Mitglied erwartet. Aber was macht die große sozialdemokratische Partei? Sie setzt sich mit dem Thema Bildung auseinander, die chancengleicher werden soll, und was fordert sie da? Ungenaues Wischiwaschi und im Text von Gabriel und Nida-Rümelin glatt mehr Eigenverantwortung der Bürger die tollen Bildungsangebote zu nutzen. LE FUCK? Die Abschaffung von Gymnasien und die Einführung von nur noch einer Schulform traut sich sowieso keiner mehr zu fordern. Hier, Piraten. Macht da mal was. Ernsthaft. Die Bildungsexperten sind sich bei den meisten Themen übrigens weitestgehend einig, und die Forderungen sind seit Jahrzehnten dieselben. Vorwissen, das die Piratenpartei schnell aufholen kann, und wo sie sicher mehr Chuzpe hat für die Mittelschicht eventuell unangenehme Dinge zu fordern als die Etablierten. Ich kann nicht glauben, dass ich das schreibe. Oh hai Frustration.
3. Es spricht mehr Leute an als Netzpolitik
Auch das schreibe ich wieder mit einem weinendem Auge. Natürlich ist Netzpolitik ein Feld, dass in alle anderen Politikfelder abstrahlt - sei es Innenpolitik (Vorratsdatenspeicherung) oder Bildungspolitik (Laptops in Schulen u.ä.). Aber man kann damit leider noch keine Blumentöpfe gewinnen. Nicht unbedingt, weil die Masse der Bürger_innen sich damit nicht beschäftigt (obwohl das stimmt), sondern auch, weil man hier nur schwer Differenzen zu anderen Parteien abstecken kann. Bei Familien-, Frauen- und Bildungspolitik schon. Und noch was: man kann umso schöner die Versäumnisse anderer Parteien aufdecken und sich selbst profilieren. UND als letztes noch: nicht jede/r Bürger_in hat sich schon mal mit Urheberrechtsproblemen oder Vorratsdatenspeicherung beschäftigt, aber jeder von uns war in der Schule (Gruß an Precht), kennt Geschlechterklischees (Gruß an Mario Barth) und hat eine Familie - wie auch immer diese geformt sein möge (Gruß an die CSU). Diskussionen darüber, Bahnhöfe behindertengerecht zu machen, betreffen übrigens dann auch ältere Menschen, die nur noch mit Stützen laufen können und für die viele Treppen ein Graus darstellen. All das, unmittelbar anwendbar, das sind einfache Themen, emotionale Themen, nicht so abstrakt wie LSR, VDS und ACTA.
Fazit
In einer Partei, wo man sich Transparenz verschrieben hat und diese unermüdlich fordert wäre es klug, die Transparenzscheinwerfer mal auf die Lebenssituationen der Deutschen zu werfen und all die Missstände aufzuzeigen und programmatisch anzugehen. Die Piraten haben da gute Leute sitzen, die schon untereinander vernetzt sind (ein übrigens riesiger Vorteil) und sich viel Fachwissen erarbeitet haben bzw. das nötige Wissen schnell aufholen können. Das gilt es anzuwenden. Fraglich ist, ob der jetzige Bundesvorstand zu dieser potenziell dynamischen kreativen Partei passt, und ob sie sich trauen sich diese Themen - und sei es nur für die nächsten zwei, drei Jahre - auf die Brust zu schreiben. Ich fände es schön, denn es würde sicherlich genausoviel Bewegung in dieses Themenfeld bringen wie der damalige Kick Off zur etablierten Netzpolitik. Vielleicht entwickeln sich die Piraten auch einfach zu einer Partei mit wechselnden Schwerpunkten.
+1! Es sollte mehr Menschen geben, die Inhalte statt Parteien voranbringen wollen. Danke!
Die Anträge werden am BPT eingereicht: https://lqfb.piratenpartei.de/lf/index/search.html?_webmcp_csrf_secret=7i8YZu5fmY70mX1XxGNCbLEBthX7kBcc&_webmcp_routing.default.mode=redirect&_webmcp_routing.default.module=index&_webmcp_routing.default.view=search&search_for=global&search=Echte+Wahlfreiheit+f%C3%BCr+Familien
Unheimlich lieb und gut gemeint.
Und das wars auch schon.
Denn zB wurde ich 4mal als PiratenMitglied abgelehnt, weil ich jüdischer Feminist bin.
Und weil alle Frauen NONVERBAL, vor allem auch vokal (SchreiLautStärke,..) sowie relational (Gruppen-Sich-Ball-ZuSpiel-Macker) kalt ins Aus gestellt werden.
Deine Idee ist super - magste vielleicht ne neue Partei gründen? ;) :D
Oh - ich denke zB “PRIVATenPartei” oder “PILOTENpartei”.
Vorne Flauschen, hinten sexistisch mobben - da hast Du 100-1000 Therapiestunden für mehr als 10% der 5000 aktiven Piraten drin.
Also so ungefähr 200 * 500 Stunden, bei GruppenTherapie 10E/h also EINE MILLION.
Joaa - eine Millionen-Idee! ;) :D #sorry #heul #echt
Danke für dieses “interessante” Lob! Die NRW-Piraten haben zur Landtagswahl 2012 ein Bildungsprogramm geschrieben, dass genau diese “eine Schule” fordert! Lies es bitte - es geht sehr weit und ich denke, wir werden alle hart kämpfen müssen um alte Verhaltensmuster aufzubrechen um Kindern ihrSelbstbewusstsein und die Freude am Lernen zurück zu geben indem wir “selbstbestimmtes Lernen” ermöglichen.
Pirat Sabine Martiny
Danke für diesen fairen Bericht! Inhaltliche Politik statt Parteipolitik!
Das Bildungsprogramm der NRW-Piraten, geschrieben Anfang 2012 (verbessertes Programm aus 2010) solltest du bitte lesen! Eine Schule, keine Noten, jahrgangsübergreifendes Lernen, selbstbestimmtes Lernen! Wir müssen dafür aber alte Sicht-u.Denkweisen aufbrechen! Harte Arbeit!
Solange die Piraten und ihr “Kegelclub” Transsexuelle als Eichhörnchen bezeichnen will ich nix, aber auch gar nix, von denen in Bezug auf Feminismus, Gleichstellung etc. hören.
“Piratinnen, Transsexuelle Eichhörnchen und viel Himbeer-Cremant.”
(Da: http://kegelklub.wordpress.com/)
Menschen mit Tieren zu vergleichen ist immer abwertend, in diesem Falle eine Verniedlichung. Geht gar nicht, schon überhaupt gar nicht für eine Partei.
Da fehlt Ernsthaftigkeit, eigene Erfahrung, da fehlt einfach alles, also bitte…
Achja, und wer bitte ist Laura @schwarzblond Dornheim? Noch nie gehört. Kennt irgendeine Feministin diese Person, hat sie irgendwer schonmal aktiv bei einer Demo, bei irgendeiner feministischen Veranstaltung gesehen?? Sie scheint wohl so eine “Liberale” zu sein, die glaubt Feminismus samt dem langwährigen Thema Frauenquote helfe ihr bei der eigenen “Karriere”.
Nein.
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