Ich bin ein neugieriger Mensch. Wenn ich also irgendwo lese, ein Buch würde in den USA gerade zu einer sexuellen Revolution führen, dann macht mich das neugierig. Wenn ich dann auch noch rausfinde, dass dieses Buch eigentlich eine Fanfiction war, basierend auf der Twilight Reihe, dann kann ich mich eigentlich gar nicht mehr gedulden.
Andererseits. Warum sollte ich ein, gerade von vielen Feministinnen, als reaktiv verschrieenes Buch lesen? Naja. Weil ich ungern über etwas diskutiere, zu dem ich mir nicht selbst eine Meinung gebildet habe. Also Ebook gekauft, aufs Handy gezogen, und angefangen.
Der Fanfiction Aspekt
Nach den ersten Hundert Seiten wird schnell klar: wer Twilight nicht gelesen (!) hat, wird 50 Shades of Grey schwerlich kontextual korrekt einordnen können. Denn die Charaktere wurden wirklich 1:1 übernommen: die tolpatschige, introvertierte, wunderschöne sich selbst aber nicht so wahrnehmende Bella Anastasia, der gut aussehende, alles mit Leichtigkeit erreichende, Menschen magisch anziehende, seinem Alter nach fehl am Platz zu sein scheinende, übernatürliche Vampir Edward Milliardär Christian… selbst seine und ihre Familie und ihre Freunde sind Twilight nach empfunden. Jeder. Einzelne. Charakter. Ich habe Twilight damals gerne gelesen, die Bücher transportieren meiner Meinung nach gut Emotionen, da spielt eine einfache Schreibweise oder die gruseligen Verfilmungen erstmal keine Rolle. Jetzt eine Fanfiction als komplettes Buch zu lesen ist… anstrengend.
In jeder Szene wird so deutlich, so offensichtlich, dass dies ganz anders und nicht als alleinstehendes Buch gedacht war: Christian Grey deutet an, dass er aus Anastasia nicht schlau wird, weil er ihre Gedanken nicht lesen kann. Oh, Zufall! Das ist ja… wie.. äh… doch: das ist genau die Szene aus Twilight. Etwas irritiert lese ich weiter und frage mich nun, ob Christian Grey Gedanken lesen kann. Die Andeutungen, er wäre wie aus einem anderen Jahrhundert. Niemand kann ihm widerstehen. Sogar die Szene im Auto, „hey was ist das für interessante Musik“ - 1:1 geklaut. Jaja, wir haben es verstanden - es geht hier um die Twilightcharaktere. Als FF wäre das Buch gar super: als Roman allerdings sind diese Parallelen anstrengend und wirken auf Dauer wie eine Kopie. Sorry, aber dann kann ich auch Twilight kaufen.
Halt! Aber du hast noch gar nichts von dem Red Room of Pain und den Sexspielchen geschrieben! Und über die Unterdrückung der Frau hast du auch noch nichts erzählt!
Die „sexuelle Revolution“
Die Autorin bedient sich der Twilight Charaktere, und so ist Christian Grey der unnahbare, geheimnisvolle aber anziehende Mann. Bei der weiblichen Hauptfigur, die aus der Ich-Perspektive erzählt, weicht sie dann doch etwas von ihrem Vorbild Bella ab: ja, sie ist von Selbstzweifeln geprägt, ihrem Twilightvorbild nicht unähnlich, aber sie ist dazu noch schüchtern und schnell eingeschüchtert, anders als Bella, die in den Romanen Kraft und Stärke entwickelt um ihre Gefühle und die Situationen stemmen zu können. In 50 Shades of Grey sieht das alles etwas anders aus: Anastasia fällt immer wieder in das kleine Mädchenschema zurück, guckt ängstlich auf ihre Hände (keine Konversation ohne dass Bambi sich auf ihre Pfötchen konzentriert), kaut lasziv unschuldig auf ihrer Unterlippe und bricht dann mit kleinen Gegenstößen aus ihrem Muster. Wäre dies nun konsequent und glaubhaft weitergeführt, so könnte man sich vortsellen, wie das unschuldige, naive Mädchen, natürlich eine Jungfrau, an der Herausforderung ihrer Gefühle und dieser komplexen Beziehung wächst und schließlich über den vermeintlich über ihr stehenden, insgeheim jedoch von Komplexen geplagten Mann hinauswächst. Man würde erwarten, dass sie die Stärkere wird, dass sie vermeintlich für sich beschließen kann was sie will und was nicht - aber nein. Zwar betont sie immer wieder, dass sie weiß, dass sie verletzt werden würde, sie analysiert schon zu Beginn der Affäre zutreffend ihre Mankos und weiß genau, was sie aus dieser Beziehung heraus erwartet und möchte. Aber anstatt das zu äußern, wird dieser potenziell starke Charakter von der Autorin dazu gebracht, verschüchtert auf ihre Hände zu gucken, flüsternd zu antworten, ständig zu viel zu trinken, von Alkohol und sexuellen Gelüsten abgelenkt zu werden und nie wirklich konkret zu äußern, was sie denn wolle. Nein, sie verharrt in einer hoffenden wartenden Position, bei der sie das Schicksal ihres Glücks und des Glücks dieser Beziehung allein in die Hände ihres Gegenübers legt.
Ich kotze im Strahl.
Wahrscheinlich sollte ich noch ein paar Worte über den Sex verlieren. Es ist halt ein Erotikroman, Softporno wenn man so möchte. An Beschreibungen des Sexes mangelt es wirklich nicht. Okay, es ist kein unschuldiger Blümchensex, die Hauptfigur soll sich komplett unterwerfen. Die Grenzen verwischen irgendwann immer mehr - das könnte man nun so interpretieren, dass auch das Verhältnis der beiden von „nur Sex“ mehr hin zu „wir mögen uns doch“ hin kippt. Andererseits stören mich dann doch einige Sachen wirklich sehr.
Als Anastasia - Randsituation: sie sind nicht zusammen, sie hat so halb zugestimmt seine Sexsklavin zu sein, sie kennen sich ein paar Wochen, aber noch lebt sie ihr eigenes Leben - vor Anderen erzählt, dass sie vorhat ein paar Tage zu ihrer Mutter zu fahren, dann ihre beste Freundin erwähnt dass sie mit einem Freund abends aus war, und auch noch ihre Beine zusammen hält als Christian sie am Tisch befummeln will wird dieser so sauer, dass er sie unter einem Vorwand nach draußen lockt, sie dann in ein Bootshaus trägt und sie so Angst davor hat, dass er sie schlägt (erotische Fantasie hin oder her) dass sie ihn beginnt zu verführen. Er „fickt“ sie (es gibt hier kein mit einander schlafen, nur ficken), und sagt ihr deutlich, dass sie nicht kommen darf, sonst würde er sie schlagen. Das wäre nun nur für sein Wohl, nicht für ihres. Sie lässt es mit sich machen, bleibt gedemütigt, heiß (denn natürlich, sie ist immer geil, sie kommt jedes Mal, mehrmals, in Ausmaßen die Sally sich niemals hätte ausdenken können) aber ihm nicht böse.
Wo soll ich anfangen mich darüber aufzuregen? Das kommt einer Vergewaltigung mehr als nahe (das ist nur zu meinem Spaß, nicht deinem), das ist psychologischer und körperlicher Missbrauch. Abgesehen davon, dass BDSM so weit ich weiß nur in klar abgegrenzten Situationen stattfindet, und der Dominus sicherlich nicht einfach durch Sexspiele und Sexstrafen seine Unterwürfige bestraft, weil er eifersüchtig oder gekränkt oder was auch immer ist. Das ist nicht BDSM, das ist einfach nur krank. Herzlichen Glückwunsch Anastasia, du hast dir einen Psychopathen geangelt. Holy shit, wie sie im Englischen nach jedem zweiten Gedanken hinzufügen würde.
Ich habe jetzt etwa 2/3 gelesen und ich kann einfach nicht mehr. Passiert da noch mal was? Sex, Twilight Referenz, bisschen fesseln, Gespanke, enttäuschte Verliebtheit, mehr Twilight Referenzen, mehr Sex, mehr meh. Ich starre gerade Anastasia-like auf meine Hände und finde keinen richtigen Abschluss. Will ich überhaupt wissen, ob das Buch einen Abschluss hat? Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass es noch zwei weitere Bände gibt?
Irgendwann, wenn ich mal in der Bahn sitze, keinen Empfang habe, nichts zu tun habe und kurz vorm Durchdrehen bin, werde ich das zu Ende lesen. Und wenn ich dann mal irgendwann eine Tochter* haben sollte, werde ich mit ihr auf Augenhöhe über dieses Buch sprechen können, und über all die Klischees und falsch geweckten Erwartungen. Eine Frau hat schön zu sein, brauch einen vom Mann bezahlten Personal Trainer um für Sex fit genug zu bleiben (haha. lol?), lässt sich mental misshandeln und findet das alles aber toll, weil sie so scharf auf ihn ist, dass sie „keinen klaren Gedanken fassen kann wenn er in der Nähe ist“. (Jetzt mal ernsthaft. Wie wird man so dauergeil? Und wie bitte wird sie nach Tagen mit fünf Ficks am Tag, die alle „hart“ und „tief“ sind, nicht wund? DAS wäre doch mal eine wichtige Info!)
Eben nicht nur ein Buch
Jaja Mina, das ist doch bloß ein Buch. Nee. Eben nicht. In den USA feiern die Frauen angeblich jetzt ihre sexuelle Befreiung. Okay, good for them. Wer Literatur als Inspiration nutzen möchte, hey, no judgement. Und wenn es dazu führt, dass man mit dem Partner offen über Vorlieben und Wünsche spricht, okay, toll. Wenn aber das nächste 16jährige Mädchen all ihre Wünsche zurückstellt, nur um mit dem Jungen/Mann ihrer Träume zusammen zu sein, so wie wortwörtlich Anastasia in diesem Buch, dann ist das nicht mehr okay. Dann wird es traurig. Verletzend. Potenziell gefährlich. Es gibt zu viele Beziehungen, in denen die eine Person mental oder sonstwie vom Partner abhängig ist. Das muss jetzt nicht auch noch auf Papier und in drei Bänden glorifiziert werden.
Natürlich kann man versuchen, das Buch nur für sich genommen zu lesen, und das wird vielleicht auch einigen gelingen. Wer aber nur minimal reflektiert liest und sich nicht bei jeder Sexszene einen runterholt wird merken, was da eigentlich gerade vermittelt wird. Und mit welcher Unschuld. Das macht das einfach geschriebene Buch nun wirklich nicht mehr so schön zu lesen, sondern irgendwie wütend, genervt, frustriert. Vielleicht gibt es auch Leute, die das alles komplett ausblenden können. Holy shit.
Fazit: wer zu viel Zeit und Neugier hat, sollte mal reinlesen, zumindest um wissentlich gegenargumentieren zu können. Wer aber nicht so neugierig oder gelangweilt ist, oder wer einfach Wert auf gleichberechtigte Partnerschaften legt, auf Selbstwertgefühl oder auch einfach auf schöne Liebesgeschichten, sollte es lieber lassen.
*Lisa fragt mich grad, was denn mit einem Sohn wäre. Mit dem müsste man auch darüber reden klar. Aus wahrscheinlich vorurteilenden Gründen kam mir eine Tochter als Zielgruppe dieser Literatur allerdings eher in den Sinn ^^ My bad.
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