Und ich denke, dass es einigen, wenn nicht sogar vielen Menschen in Deutschland so geht. Dennoch werde ich jede Verallgemeinerung tunlichst vermeiden und weiter in diesem Artikel nur von mir sprechen.
Ich bin ein gläubiger Mensch. Ich wurde katholisch getauft, bin zur Kommunion gegangen, und hatte jahrelang Religionsunterricht. Dann, mit 15 die erste Sinnkrise - warum lässt es Gott zu, dass so viele Menschen leiden? Wo ist der Sinn von Kirche? Religion? Ich soll 80 Stunden Sozialdienst in der Kirche machen um gefirmt zu werden. Ich verweigere den Reli-Unterricht und gehe nicht zur Messe. Ein intelligenter Pastor erklärt mir dann, dass Gott uns freien Willen gegeben hat, und dieses Geschenk gleichzeitig Verantwortung ist. Der Mensch obliegt sich selbst, er muss für Gerechtigkeit sorgen. Das leuchtet mir ein. Bis heute definiere ich Religion so für mich: als Rahmenwerk. Ich kehre zurück in den Reli-Unterricht. Wir sprechen viel über Drogen und Abtreibung. Firmen lasse ich mich nicht. Ich verstehe nicht warum ich mich als billige Arbeitskraft missbrauchen lassen soll, nur um ein Sakrament zu erhalten.
Jahre später. Ich gehe nicht mehr so oft in die Kirche wie in meiner Jugend, kaum noch an Weihnachten oder Ostern. Ich vermisse es. Die Ferienfreizeiten der Kirche, die Flohmärkte, selbst der Kommunionsunterricht, all das hat mir wohl mehr gegeben als man denkt - es hat mich quasi von der Straße geholt als ich jung war (das soll bitte nicht so dramatisch gelesen werden wie es klingt). Also gehe ich Ostern vor ein paar Jahren in die Messe. Wir stehen in Leverkusen in der Fußgängerzone, 22 Uhr, Kerzen in der Hand, vor dem grauen Betonblock der sich Kirche nennt und der Pfarrer erzählt Lebensferne Geschichten. Das fühlt sich irgendwie falsch an. Ich bin enttäuscht.
Wohl auch, weil ich ein Problem mit der Kirche habe. Glaube als freier Wille, nach Gutem zu streben nach bestem eigenen Wissen und Gewissen widerspricht so vielem was die Kirche propagiert: warum soll Homosexualität schlimm sein? Wieso darf man nicht verhüten? Sich scheiden lassen? Mein Religionslehrer brachte uns damals bei, dass wir bitte die Jungfrau Maria nicht als biologische Jungfrau zu verstehen haben, sondern als nicht von der Erbsünde Adam und Evas belastete junge Frau. Ich verstehe nicht warum die Kirche dennoch an solchen Bildern festhält. Ich glaube an Gott. Ich glaube an Evolution. Für mich ist das alte Testament eine Metaphernsammlung. Wo ist mein Platz?
Nun, als Papst hat man in diesen Zeiten wohl zwei Möglichkeiten: die Kirche reformieren, oder sich auf alte Werte fokussieren (aktuelle Skandale lasse ich jetzt bewusst außen vor, da dies für mich in erster Linie nichts mit Glauben/Religion zu tun hat). Die Rede vor dem Bundestag fand ich ganz gut. Viel wahres drin. Aber dann kommt es darauf an, in welche Richtung das ausgelegt wird. Und da schlägt Benedikt jetzt mit seiner „Entweltlichung“ eine so tiefe Kerbe, dass ich mich frage, ob die katholische Kirche in dieser Form bestehen kann. Zumindest in Deutschland. Und das ist wohl auch das Problem: andere Länder sind nicht so weit. Als ich 2008 eine Messe in Polen besuche sitzen Frauen und Männer getrennt und empfangen auch getrennt die Kommunion. In Südamerika und weiten Teilen Afrikas wird die Abtreibungs- und Kondompolitik der Kirche begrüßt. Was tun mit einer Kirche, die weltweit so fragmentiert ist? Ich denke, oder hoffe, dass sich Benedikt nicht bewusst ist, wie sehr er durch seine Reformvermeidung die Gläubigen zerreißt. Zu Hause fühle ich mich in meiner Kirche schon länger nicht mehr. Wo also hin mit meinem Glauben? Ich würde es mir sehr wünschen, wenn meine Kinder später einmal ähnlich schöne Erfahrungen machen könnten im Rahmen der Kirche wie ich. Momentan weiß ich aber noch nicht mal ob ich bis dahin überhaupt noch Mitglied sein werde.