Meine Meinung gehört mir.
Meine Lust, über etwas zu sprechen oder schreiben oder gar zu diskutieren genauso.
In letzter Zeit passiert immer öfter etwas merkwürdiges: Menschen denken, ich wäre verpflichtet, mit ihnen über Themen zu diskutieren. Dinge wie Frauenquote oder das Gender_Gap zu rechtfertigen. Zu argumentieren. Menschen, die erwarten, dass ich ihnen meine Zeit widme. Meine Zeit, meine Aufmerksamkeit. Einen Teil meines Lebens. Menschen, denen ihr Tonfall egal ist, für die ich ein Abbild eines Vorurteils bin, frei verfügbar, beschimpfbar, benutzbar. Erklär mir das. Rechtfertige jenes. Keine Lust? Das ist so typisch!
Sie wollen, dass ich ihnen gehöre.
Mit Sinn, Verstand, Gefühl.
Es ist das alte Muster: du stehst da mit deiner Meinung, die zufällig anders ist als die meine. Doch ich hab die Macht, also erklär sie mir gefälligst, bück dich, schluck all die Vorwürfe und Belehrungen die ich halbgar ausspucke, und lächel nett. Bleib höflich, nicht aufmucken. Sei still. Brav. Schön. Und jetzt mach mir ein Sandwich.
Ich gehöre euch nicht. Ich bin zu nichts verpflichtet.
Genauso wenig ist Anne verpflichtet, auf der re:publica in ihrer Präsentation die bahnbrechenden Weltverändernden Schritte zur gerechten Welt nach #Aufschrei aufzuzeigen. Genauso wenig ist Kathy verpflichtet, nach der Maischberger Sendung jeder Person Feminismus zu erklären. Genauso wenig ist Jasna verpflichtet, nett und höflich zu Pick Up Artists zu sein, die sie vorher beleidigten.
Feminismus ist keine Selbstaufgabe.
Feminismus ist Stärke, Mut und Inspiration.
Nur weil manche Menschen zufällig in der privilegierten Position sitzen, von feministischen Themen nicht berührt zu werden, gibt es ihnen nicht das Recht an meiner Meinung. Meiner Zeit. Meiner Leidenschaft.
Die Verfügbarmachung von Frauen ist weltweites Muster - körperlich, seelisch, emotional. Immerzu müssen Frauen verfügbar sein. Schön sein. Nett sein. Adrett sein. Intelligent argumentieren. Ihr Meinung begründen. Männer (und Frauen) überzeugen.
Respekt wird an Argumente gebunden: Wenn du mich nicht überzeugen kannst, dann respektiere ich dich auch nicht. Wenn du mir keine Zeit widmest, darf ich dich beschimpfen.
Es wird Zeit, aus diesem Muster auszubrechen.
Meine Meinung gehört mir. Mein Mut gehört mir. Mein Herz gehört mir.
Meine Tränen, mein Schweiß, meine Verzweiflung, meine Freude, meine Träume gehören mir.
Wer das nicht respektieren kann, ist Gefangene_r eines längst überholten Gesellschaftmusters.
Punktlandung!
*sign*
cheers
h
Hallo Mina!
Vielen Dank für diesen Beitrag! Ich stimme dir absolut zu, vor allem dem Grundtenor, dass man nicht jede Argumentation (vor allem die trolligen) führen muss.
Bei einem Satz bin ich jedoch etwas gestolpert:
> Wenn du mich nicht überzeugen kannst, dann respektiere ich dich auch nicht.
Alleinestehend finde ich den Satz relativ gefährlich, da ich finde, dass Respekt nicht immer nur von Argumenten kommen kann und darf. Ich versuche (ja, ich bin menschlich und schaffe das nicht immer), jeden Menschen von Grund auf zu respektieren. Erst wenn schwachsinnige Aktionen oder Argumente von dieser Person kommen, sinkt mein Respekt (eventuell gar auf null).
Ich weiß, dass der Kontext in diesem Beitrag meinen Ausführungen nicht widerspricht. Ich hoffe nur, dass der Satz nicht aus demselbigen gerissen wird.
Danke für deine Meinung, deine Tränen, deinen Mut und für deine guten Beiträge!
Mach bitte weiter so!
Beste Grüße,
Philip
Der Satz war nicht aus meiner Sicht geschrieben, sondern aus der Perspektive, die ich oft zu hören und spüren bekomme.
Danke die Aufklärung!
Das hatte ich wohl falsch verstanden.
Liebe Mina
Wunderbar! Herzlichen Dank. Ich kann jede einzelne Aussage unterstützen.
Herzlich
Alma Redzic
Geschäftsführerin des Vereins für feministische Wissenschaften
@almdzic und @Fem_Wiss
Mein Respekt gehört dir! ;)
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Liebe Mina, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Ich möchte Ihre Worte unterschreiben und anmerken, dass dies ein wesentliches Problem der aktuellen Kommunikationskultur ist: Menschen, die ganz schlecht mit Rabulistik und Derailing umgehen können, gehen einfach unter. Gerne würde ich mich für Sachen einsetzen, die ich gut und richtig finde. Aber meistens halte ich meine Klappe, weil ich eine Redeschlacht mit rhetorisch geschulten Trollen, die meistens aus der rechten und/oder maskulistischen Ecke kommen, glatt verlieren würde. Das ist eine sehr schmerzliche und entmutigende Erfahrung. Ihr Beitrag stärkt mir ein wenig den Rücken.
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mein Herz gehört manchmal auch Dir.
Danke <3
<3
Als Franz Müntefering einst gefragt wurde, ob die Politik den Bezug zu den Menschen verloren hätten, war seine Antwort die folgende: “In der Politik ist es nicht gut, wenn man persönlich betroffen ist”. Wegen der emotionalen Distanz. Weil man Dinge aus dem Blick verliere, die für politische Entscheidungen wichtig sind. Und weil einen das blind mache für das große Ganze.
Dieser Satz, dieser Gedankengang hat sich in meinem Kopf irgendwo einen Platz gesucht und dort niedergelassen. Er hat sich festgefressen und hin und wieder schiebt er sich in den Vordergrund. Als rationale Selbstreflektion des eigenen Handelns und Denkens. Oder als diffuses Gefühl. Er ist seit 4 Jahren mein stiller Wegbegleiter durch den politischen Diskurs. Heute aber schrie er mich an. Laut. Unüberhörbar hämmerte es in meinem Kopf: es. ist. in. der. Politik. nicht. gut., wenn. man. persönlich. betroffen. ist.
und dann. Stille. http://www.youtube.com/watch?v=S0Fpi9Aonoo
Franz Müntefering hat Unrecht, denn wenn die, die persönlich betroffen sind, nicht Politik machen, bleibt vieles ungesehen, vieles nur zynische Beschreibung des status quo, vieles unberücksichtigt, marginalisiert, unsichtbar. Deswegen ist die Lust am diskutieren und am Meinungsaustausch so wichtig. Deswegen ist es so wichtig, niemandem zu gehören.
Doch für den Moment stelle ich fest: “In der Politik ist es nicht gut, wenn man persönlich betroffen ist.” Nicht, weil das “der Politik” schadet, die man macht. Sondern weil es einen manchmal auffrisst. Weil ich merke, dass ich nicht mehr vermitteln kann. nicht mehr ruhig argumentieren. Weil ich meine Wünsche nach einer ruhigen Diskussion, nach der Übersetzung von Diskurslogiken, nach dem Streit in der Sache nicht mehr umsetzen kann. Weil ich nach all den Anfeindungen, dem Hass und der Verachtung, die mir ins Gesicht geschlagen sind, es gerade nicht mehr schaffe, die Contenance wiederzufinden. Weil ich vor der Hoffnungslosigkeit, die mir Kritiker_innen meiner Position zu vermitteln versuchen, kapituliere.
Ich glaube fest daran, dass Politik Betroffenheit braucht. Weil wir nur so ungesehenes in den Blick nehmen können, weil wir nur so den Zynismus des status quo überwinden können, weil wir nur so unberücksichtigtes berücksichtigen und marginalisierte Positionen mit Macht versehen können. Und weil nur so unsichtbares sichtbar werden kann.
Aber für den Moment geben ich auf. Denn ich habe meine Meinung verloren. Und ich finde meinen Mut und mein Herz nicht mehr. Ich verlor meine Tränen, meinen Schweiß, meine Freude und meine Träume. Nur meine Verzweiflung, die habe ich noch. Ich gebe mein feministisches Engagement auf. Vielleicht nur vorübergehend. Aber eben doch für diesen Moment.
Du hast völlig Recht: Deine Meinung gehört dir, deine Zeit gehört dir.
Allerdings gilt das auch umgekehrt: Die Meinung von anderen Leuten gehört ihnen, die Zeit der anderen Leute gehört ihnen.
So weit, so selbstverständlich. Ich wundere mich nur, wenn Leute es ablehnen ihre Meinung und Position zu vermitteln und gleichzeitig die Erwartungshaltung haben, dass andere Menschen es genauso sehen müssen.
Natürlich hat niemand einen Anspruch darauf, dass du ihm deine Haltung erklärst, nur darfst du dich auch nicht wundern, wenn er dann mit ihr nichts anfangen kann oder sie weiterhin ablehnt.
Das soll natürlich nicht heißen, an jeden Pfosten auf Twitter seine Lebenszeit zu vergeuden, sondern nur, dass man nicht automatisch richtig liegt, weil man antirassistisch, trans*, kommunistisch, feministisch, schwul, reich oder whatever ist und wenn man seine Position verbreiten möchte, es notwendig ist, sie auch zu diskutieren.
Es ging in dem Text nie um normale Konversationen. Ich denke, es ist normal, dass man Argumente austauscht, so lange das auf Augenhöhe geschieht. Sobald mir jedoch die Wahl abgesprochen wird, ob ich in diesem Moment in meist unfreundlichen Tonfällen diskutieren möchte, sind wir wieder am Anfang. Ist wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen, wenn man selbst noch nicht in der Situation war.
Natürlich Du bist zu gar nichts verpflichtet. Ich denke dennoch wer Autorität oder Anerkennung für seine Meinungen einfordert, für den wäre es doch wichtig sie mit möglichst überzeugenden Argumenten in einem offenen Dialog zu unterfüttern.
Sich also Fragen von anderen zu stellen und nicht einfach auf die ‘kulturkompetentere Rolle’ zu verweisen.
Wie gesagt, du bist zu gar nichts verpflichtet aber andere sind auch nicht verpflichtet Dir zuzuhören.
Weder fordere ich Autorität, noch Anerkennung. Keine Ahnung, woher ihr das immer habt.
Na gut, dann eben das man über das von Dir geschriebene nachdenkt & evtl. in den eigenen Alltag ‘integriert’ sei es auch nur, das man die Dinge ein bißchen so sieht wie Du.
Anderenfalls weiß ich nicht wirklich warum Du hier schreibst, es sei denn natürlich Du empfindest das als irgendwie an sich sinvoll..?
Nee, nicht sinnvoll. Spaßig. :3
/sign
Das hat zwar nichts mit den von dir angesprochenen Themen zu tun aber Warum muss ich mich ständig für meine vegane Ernährung rechtfertigen?
Genau ich muss es nicht und lasse es mittlerweile. Ich habe keinen Bock an jedem Essenstisch auf diese Diskussion einzusteigen.
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Ist dieser Artikel nicht wieder ein Erklärungs-/Rechtfertigungsversuch gegenüber Leuten, die sowieso keine Erklärung gelten lassen und ihrer nicht wert sind?
Ich habe schon soviel Lebenszeit damit vergeudet, mich zu erklären, verstanden werden zu wollen von solchen Menschen, denen ich einfach nur den Rücken zuwenden sollte.
Inzwischen schrillen meine Alarmglocken sofort und ich kann mich zurückziehen - auch wenn immer noch ein innerer Drang nach gegenseitigem Verstehen und Akzeptanz da ist.
Nein, ist er nicht :)