Es sind ein paar Wochen seit #Aufschrei vergangen, es gab einige kluge und viele oberflächliche Artikel und Berichte, und ich sitze nächste Woche bei der SPD zu einer Diskussion zu Konsequenzen aus der Sexismus-Debatte. Konsequenzen - ja, gutes Stichwort. Was soll sich eigentlich ändern? Spontan möchte ich „alles“ schreien, es waren einfach zu viele Grenzen von zu vielen Idioten, die in den letzten Wochen Monaten Jahren überschritten wurden.
Gleichzeitig lese ich Texte von Männern an ihre Söhne und von Provokanten an FDP-Wähler (sic), und was ich immer wieder bemängeln möchte ist etwas grundsätzliches: Respekt. Sei es, wenn ich lese, Frauen würden sich Männer wünschen, die es nicht gäbe; sei es, wenn ich lese, der Feminismus(TM) hätte die Männer nicht mitgenommen; sei es, wenn ich lese, Frauen würden wegen Kleinigkeiten ein Geschrei veranstalten; sei es, wenn ich lese, wo Regeln wären, würde es umso mehr Spaß machen, diese auszutricksen. Bei all dem frage ich mich - wo ist dort der Respekt? Der Respekt vor anderen, dem Individuum Frau, der Gruppe „Frauen“?
Letztendlich schwingt bei all dem etwas widerliches mit: ein subtil unterstellter Bonus, den Frauen auf Grund ihrer Rolle als Frau bekommen würden. Nun, Fakt, jedes Geschlecht wird sicherlich irgendwann einmal (oder mehrmals) im Leben einen Bonus bekommen, einfach nur weil sie/er ein/e Frau/Mann ist - genauso wie jede/r einmal auf Grund des Geschlechts Nachteile erfahren kann. Jedoch geht es bei der Sexismus Debatte ja gar nicht um eine abstrakte Makrowelt der Möglichkeiten. Es geht um Realitäten und Häufigkeiten, um Macht und Strukturen, um komplexe Beziehungen, um Opfer und Täter. Wie ich bereits versuchte darzustellen geht es bei #Aufschrei konkret um Fälle, in denen Frauen Opfer sexistischen Verhaltens bis hin zu eindeutiger Belästigung und Übergriffen wurden - von Vorgesetzten, Freunden, Bekannten, Kollegen, Lehrern, Nachbarn, … und ihnen in diesem Kontext einen „Bonus“ zu unterstellen, hat etwas widerwärtiges. Dieser Text erklärt es wunderbar (Hervorhebungen von mir):
Der Begriff der Opferrolle beschreibt die Position eines Menschen in einer Situation. Nichts weiter.
X wird von Y gehauen, so ist X in diesem Moment in der Opferrolle. Punkt.Geht X irgendwohin und sagt: “Ich kann dies nicht, ich kann das nicht, weil ich ein Opfer bin. Und ich werde das auch nie können, weil ich ja auch immer Opfer sein werde. Also: (hilf mir)- hab mich lieb- lass mir alles durchgehen- ich darf das, weil ich ja so ein dolles Opfer bin…”, kann man sagen, dass X auf einem OpferSTATUS pocht.
X verlangt eine (Sonder)Behandlung aufgrund seines Status als Opfer. Das kann gerechtfertigt sein oder auch nicht. Hat aber an sich nichts mit der Position (der Rolle) in der Gewaltsituation zu tun, sondern mit dem sozialen Miteinander und/ oder dem Leiden unter den Folgen dieser Situation.
In der gegenwärtigen Diskussion, wird stets unterstellt, dass
a) Frauen grundsätzlich auf ihren „Opferstatus“ pochen und dass
b) dies grundsätzlich ungerechtfertigt ist.
Beispiele? Nun, das fängt an, wenn Männer nun jammern, dass sie nachdenken müssen, bevor sie eine Frau angraben, und hört bei der feministischen Weltverschwörungstheorie längst nicht auf.
Jetzt bin ich wieder bei Respekt.
Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der ein Opfer unterschwellig immer einen Teil der Schuld mitträgt - wenn nicht an der Situation selbst, dann am eigenen Umgang mit selbiger. „Wehrt euch“ und das schreckliche „Schweigen der Lämmer“ sind da nur ein Beispiel (wenn Frauen sich wehren würden, würde das gar nicht passieren), genauso natürlich wie das typische Derailing und die Täter-Opfer-Umkehr. Nachdem, dank der harten Arbeit wundervoller Menschen in Blogs, Fernsehen, Radio und überall sonst, die Debatte um #Aufschrei davon recht schnell wegkommen konnte (zumindest ein Stück weit), ging sie jedoch fast nahtlos dazu über, die Schuld dennoch bei den Opfern von Sexismus abzuladen - und zwar in ihrem Umgang mit selbigem.
Kein Geschrei wegen „Kleinigkeiten“ sollen sie machen. Bei ihrem Kampf bitte alle emotional und sachlich „mitnehmen“, bloß nirgendwo anecken. „Amerikanische Verhältnisse“ werden befürchtet, und überhaupt, was soll das Gejammer?
Jetzt mal zum Mitschreiben für alle, die in dieser Respekt-Sache nicht so ganz klar kommen:
Wer etwas verletzendes erlebt hat, entscheidet selbst, wie sie/er das verarbeitet. Wann sie/er es verarbeitet. Mit wem. Wo. Ob.
#Aufschrei hat eine Struktur in Deutschland offenbart, die andere Länder bei uns mit unserer deutschen Kanzlerin nicht im Traum für möglich gehalten hätten: die strukturelle Machtausübung von Männern gegenüber Frauen, die wiederholte Erniedrigung, das ständige Kleinmachen.
Respekt wäre, wenn das Wort „Opfer“ keins der Schande mehr ist, keins, mit dem „wir“ kalt kalkulierende Intrigant_innen vermuten, die alle anderen ausbeuten möchten, sondern ein Wort, das Empathie und Mitgefühl in uns auslöst, und den Wunsch anders zu handeln.
Respekt wäre, mit diesen subtilen und anstrengenden Unterstellungen aufzuhören und reflektierte Artikel zu verfassen. Respekt wäre, wenn dies nicht möglich ist, dann lieber nichts zu dem Thema zu sagen.
Respekt wäre ein „Was machen wir in Zukunft besser“ statt ein „Ja, aber ihr nervt/stellt euch an/habt den Teller nicht leer gegessen“.
Respekt wäre ein Umdenken.
Respekt wäre Handeln.
Respekt fängt jetzt an. Bei euch. Bei mir. Bei uns.
Wir müssen nicht nur uns selbst in die Verantwortung nehmen und Briefe an unsere Söhne schreiben - wir müssen auch all die Täter in die Verantwortung nehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass alle mit Nach- und Umdenken anfangen. Wir, als Gesellschaft, kollektiv. Nicht wir, die Opfer. Nein, wir, die Nicht-Opfer und Opfer, die Nicht-Täter und Täter, die Weggucker und Mittäter. Wir alle.
Respekt ist, niemanden auszugrenzen. Respekt ist jetzt. Respekt ist Wir.
Ich glaube, wenn das eine Konsequenz aus der #Aufschrei Debatte werden könnte, wären wir schon einen riesigen Schritt weiter.

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